Liebst du mich wirklich, Raoul
Hysterie laut gelacht. Schnell warf sie einen Seitenblick auf Carrie, die einen gequälten Eindruck machte, während Moira Seymour wütend die schmalen Lippen aufeinanderpresste.
Zum Glück stieß in dieser Sekunde Mrs. Henderson die Tür auf und rollte einen reich gedeckten Teewagen herein. Es rettete die Atmosphäre etwas, dass es sich dabei um einen bemerkenswert vorzüglichen Tee und eine umfangreiche Auswahl köstlicher Snacks handelte. Alle Anwesenden waren damit beschäftigt, sich von den Tabletts zu bedienen.
Aus dem Augenwinkel beobachtete Rhianna, wie Mrs. Rawlins den Schleier wieder Lage für Lage sorgfältig zurück in die Schachtel sortierte. Dabei hätte ein ordentlicher Schluck schwarzen Tees das Problem wie von selbst gelöst. Nun musste Rhianna sich wohl etwas anderes einfallen lassen …
Als sie später ihre Teetasse zurück auf den Wagen stellte, nahm sie das alte Diadem in die Hand, das auf der Pappschachtel ruhte. Dann ging sie zum Fenster und gab vor, es näher betrachten zu wollen.
„Oh, seien Sie bitte ganz vorsichtig damit!“, rief Mrs. Rawlins besorgt. „Wie ich schon sagte, eine der Streben ist extrem empfindlich.“
„Das stimmt, aber das kann ich sicherlich schnell richten“, entgegnete Rhianna unbekümmert und hatte das fragliche Stück schon entdeckt.
Man verachtet mich sowieso schon, also was habe ich zu verlieren? dachte sie. Dann gab sie sich einen Ruck, packte beherzt zu und stieß gleichzeitig einen grellen, übertrieben entsetzten Schrei aus.
„Oh Himmel, jetzt ist es ganz abgegangen!“ Ihre Stimme klang erschrocken und bedauernd. „Das tut mir furchtbar leid, Mrs. Rawlins. Ich kann gar nicht fassen, wie ungeschickt ich bin.“
„Lassen Sie mich das sofort sehen!“, herrschte die alte Dame sie an und schoss vom Sofa hoch. Ihr Gesicht lief puterrot an. „Vielleicht kann man es noch reparieren.“
„Das bezweifle ich.“ Raoul war ebenfalls aufgestanden und überraschenderweise direkt an Rhiannas Seite getreten. „Die ganze Befestigung ist definitiv zerstört. Aber besser, es geschieht jetzt, als während der Zeremonie. Das wäre ausgesprochen peinlich geworden.“ Er schenkte Simons Mutter sein charmantestes Lächeln. „Meinen Sie nicht auch?“
„Vermutlich“, erwiderte die alte Dame nach kurzer Pause. „Aber ich weiß nicht, was mein Sohn dazu sagen wird, wenn er davon hört.“
Scheinbar betroffen starrte Rhianna auf den Boden, damit ihre Wimpern den wirklichen Ausdruck ihrer Augen versteckten.
Simon hat ganz andere Sorgen, dachte sie sarkastisch und unterdrückte ein Grinsen, als Carrie mit Nachdruck gebeten wurde, wenigstens den Schleier in Sicherheit zu bringen.
„Du bist ein Engel“, lachte sie , als sie wieder gemeinsam oben im Schlafzimmer waren. Dann warf sie die Pappschachtel aufs Bett und stöhnte laut auf. „Aber was mache ich bloß mit einhundert Metern von totem, weißem Tüll, wenn ich doch ein elfenbeinfarbenes Satinkleid trage?“
Rhianna dachte nach. „Gib mir mal eine Schere!“, bat sie.
„Bist du verrückt?“, zischte Carrie. „Was hast du vor?“
„An meinem Ruf als Zerstörerin arbeiten“, antwortete Rhianna lachend. „Simons Mutter wird ganz sicher nie wieder ein Wort mit mir reden, aber das kann ich verschmerzen.“
Sie setzte sich den Schleier auf ihren Kopf und drehte sich vor dem Spiegel hin und her. „Meine Güte, der hüllt mich ja völlig ein, und dabei bin ich noch größer als du. Wie dem auch sei, wenn wir nur eine Lage verwenden, ist er durchsichtig genug, um den Blick auf deine Haare und den Blumenschmuck freizugeben. Außerdem werde ich ganz vorsichtig sein, dann kann man alles später wieder zusammennähen.“ Lachend schob sie ihre Freundin in Richtung Tür. „Los, los! Schere und Nähzeug, bevor sie uns das Ding wieder wegnehmen!“
Sobald sie allein war, nahm sie Carries herrliches Hochzeitskleid zur Hand und hielt es sich vor die Brust. Rhianna wollte den kürzesten Teil des Schleiers abtrennen, der nur bis zur Schulter reichte und nicht zu sehr vom Kleid ablenkte. Die Änderungen sollten kein Problem darstellen, schließlich hatte Rhianna oft genug an ihren eigenen Kostümen herumgeschneidert.
Warum mache ich mir eigentlich die ganze Mühe für eine Hochzeit, die besser gar nicht stattfinden sollte, fragte sie sich im Stillen. Wieso helfe ich meiner Freundin dabei, einen Kerl zu heiraten, der sie bereits schändlich betrogen hat? Ganz besonders, wo es keine Garantie dafür gibt, dass so
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