Liebst du mich wirklich, Raoul
Tochter der Familie, halb ertrunken auffand. Sie schleppte ihn bis zum Haus hinauf und pflegte ihn aufopfernd bis er wieder genesen war.“
Sie grinste verschmitzt. „Dann merkte Tamsin plötzlich, dass sie ein Baby erwartete. Deshalb heirateten sie und Kapitän Raoul. Die Familie behauptete, er wäre ein entfernter Cousin, für den Fall, dass jemand unangenehme Fragen stellte. Er nahm den Familiennamen an, und er und Tamsin nannten einen ihrer Söhne Raoul. Diese Tradition wurde in den folgenden Generationen beibehalten. Und als viel später Onkel Ben und Tante Esther einen Sohn erwarteten, war klar, auf welchen Namen er getauft werden würde.“
Sie seufzte tief. „Eine so wundervolle Geschichte. Jorge Raouls Vater war ein wilder Eroberer, der in Südamerika Land und massenhaft Gold an sich brachte. Bei seinem Tod fiel alles an Tamsin und Jorge. Es war der Grundstein für das Penvarnon-Vermögen. Dazu hat man enorme Mineralvorkommen auf den Ländereien in Chile entdeckt, und jetzt ist mein Cousin Raoul Multimillionär, und wir sind die armen Verwandten.“ Sie zuckte die Achseln. „Allerdings hört Mummy es gar nicht gern, wenn ich das sage.“
„Ist deine Tante, Mrs. Penvarnon, auch schon gestorben?“, fragte Rhianna neugierig.
„Oh nein.“ Carrie schüttelte den Kopf. „Sie lebt in Übersee und kommt … nur nicht mehr hierher zurück.“
„Warum nicht, wo es doch so herrlich idyllisch ist?“
Wieder hob Carrie die Schultern. „Kann ich mir auch nicht erklären.“ Ihr Gesicht hellte sich auf. „Jorge Raoul und Tamsin haben sich portraitieren lassen, nachdem sie zu Geld gekommen waren. Auf dem Bild trägt sie die Penvarnon-Kette, gold und türkis, die er extra für sie hat anfertigen lassen. Das Porträt hängt im Salon. Bei Gelegenheit zeige ich es dir.“
Carrie hielt Wort, und Rhianna erinnerte sich genau daran, wie fasziniert sie selbst die Liebenden aus vergangenen Zeiten betrachtet hatte. Er sah auf eine düstere Art traumhaft gut aus, und sie war eine rotblonde Schönheit mit leuchtend blauen Augen.
Jetzt warf Rhianna einen genaueren Blick auf das Bild, und die Ähnlichkeit zwischen Raoul Penvarnon und seinem spanischen Vorfahren war wirklich verblüffend. Wenn man sich den kurzen Bart und den gerüschten Hemdkragen wegdachte, den Schwertgriff an Don Jorges Hand durch ein Handy ersetzte … ja, dann konnten sie fast Zwillinge sein.
Beide sind Abenteurer, dachte Rhianna. Ihre Augen haben einen herausfordernden Ausdruck, und sie nehmen sich, was sie haben wollen!
Hatte Tamsin damals in der Bucht geahnt, worauf sie sich einließ? Oder hatte sie sich manchmal nach einem ruhigeren Leben gesehnt? Rhianna trat noch näher an das Porträt heran. Tamsin sah nicht aus wie eine Frau, die von Zweifeln geplagt wurde. Ihre Augen und das sanfte Lächeln drückten Zuversicht und Stolz auf ihren Ehemann aus. Eine beringte Hand hatte sie spielerisch um einen kunstvollen Fächer gelegt, die andere lag auf dem ungewöhnlichen türkisen Stein, der in Gold gefasst um ihren Hals hing. Der Anhänger war umringt mit kleinen Perlen und ruhte auf ihrem leicht gerundeten Dekolleté.
„Früher war die Kette in dem Schaukasten dort auf dem Tisch ausgestellt“, hatte Carrie einmal erklärt. „Aber es gab Probleme mit der Versicherung, deshalb wird sie jetzt in der Bank verwahrt. Die Bräute in der Familie tragen sie an ihrem Hochzeitstag, und ich glaube, wir müssen auf Raouls Vermählung warten, bis wir sie wieder bewundern können. Aber der Fächer ist noch hier! Willst du ihn mal anschauen?“
Rhianna hätte es dabei belassen sollen, denn als sie das antike Stück berührte, geschah etwas Sonderbares mit ihr. Es war, als würde der Akt, den Fächer aufzuspannen und sich damit Luft zuzufächeln, einen anderen, neuen Menschen aus ihr machen: eine erwachsene Frau, die Vertrauen in die Kraft ihrer inneren und äußeren Schönheit hat.
In diesem Augenblick wurde Rhianna klar, dass sie Schauspielerin werden wollte – durch einfache Accessoires in andere Rollen schlüpfen und andere, fremde Gefühle erleben.
An jenem Tag hatte sie sich lachend auf den Zehenspitzen um die eigene Achse gedreht und vor sich hingeträumt, bis ihr Blick an Carrie vorbei auf eine grimmige Moira Seymour fiel, die im Türrahmen stand und Rhianna angewidert anstarrte – dicht gefolgt von Raoul Penvarnon.
„Wie kannst du es wagen?“, stieß Mrs. Seymour hervor. „Wie kannst du es wagen, irgendetwas in diesem Haus anzufassen, du
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