Liebster Mitbewohner
ist nur der Mitbewohner davongelaufen.“
„Ist in dem Schrank noch Platz?“ Sie besah sich das Ungetüm, in dem ich meine Anziehsachen versta ut hatte. „Ich hasse es, aus dem Koffer zu Leben.“
Das war mir nicht neu. Ich erinnerte mich noch lebhaft, als es uns vor einem Jahr zum ersten und einzigen Mal gelungen war, gemeinsam Urlaub zu nehmen. Wir hatten eine selbstgeplante Europatour gemacht. Es war schön gewesen. Leider auch anstrengend, weil Elena in allen Hotels, in denen wir immer nur ein bis zwei Nächte blieben, erst mal all ihre Sachen hatte auspacken müssen. Es war wie ein Zwang. In einem ernsten Gespräch hatte ich ihr eine Therapie vorgeschlagen. Eine Äußerung, die sie nicht einmal für kommentierungswürdig gehalten hatte.
„Klar, das meiste ist noch frei.“
Sie begann, ihre Kleidungsstücke ordentlich einzuräumen. „Weißt du, Steffen hat wirklich überhaupt nichts gemacht. Er war die letzten Tage genau wie immer. Mit seinen Launen und seiner ewigen Ich-komme-zuerst-Haltung. Aber genau das kann ich einfach nicht mehr ertragen. Ich sehe ihn an und denke: Warum tue ich mir das an? Warum mache ich das mit? Ohne ihn würde es mir doch viel besser gehen.“
„Und? Geht’s dir schon besser?“
Sie warf mir einen gereizten Blick zu. „So was geht nicht so schnell, du Trottel. Noch bin ich in der Frisch-getrennt-Trauer-Phase.“
„Tut mir leid. Willst du einen Film ausleihen und einen Liter Eiskrem essen?“
„Du hast doch gar keinen Fernseher.“
„Wir könnten Dani in dieses Bett legen und sein Zimmer nehmen. Er merkt das sicher nicht mal.“
Elena sah mich zweifelnd an. „So einen Sex- and-the-City-Kram haben wir noch nie gemacht.“
Ich zuckte mit den Achseln. „Wir könnten es ausprobieren.“
Ich traute meinen Augen nicht, als Elena plötzlich die Bluse, die sie in der Hand hielt, zurück in ihren Koffer pfefferte. „Okay. Lass es uns ausprobieren.“
Wir nahmen zwar Horrorfilme statt Liebesschnulzen, Chips statt Eiskrem und Elena vergoss auch den Rest des Tages keine einzige Träne - trotzdem war es schön. Als der Mörder ein Opfer ganz besonders grausam zurichtete, sah ich Elena sogar kurz grinsen. Nachmittags wachte Daniel auf und setzte sich zu uns, doch er schien nicht wirklich bei der Sache zu sein. Mit glasigem Blick starrte er auf den Bildschirm und reagierte mit enormer Zeitverzögerung, wenn er angesprochen wurde.
Als Elena und ich uns abends in unser Zimmer zurückzogen , nahm ich mir vor, am nächsten Tag ein ernstes Wort mit meinem besten Freund zu sprechen.
Also schlich ich am nächsten Morgen um acht, kaum dass Elena zur Arbeit gegangen war, in Daniels Zimmer. Wieder hing dieser muffige Geruch im Raum. Ich zog den Rollladen hoch und öffnete erst einmal das Fenster, damit ich überhaupt atmen konnte. Dann wandte ich mich wieder Daniel zu und erstarrte vor Schreck. Er saß kerzengerade in seinem Bett und sah mich an. „Was hast du gemacht?“
„Ich… habe nur den Rollladen hochgezogen und das Fenster aufgemacht.“
„Warum?“
„Weil ich hier drin nicht ersticken will, während ich mit dir reden.“
Daniels Gehirn schien nur sehr langsam auf Touren zu kommen. „Wie viel Uhr ist es?“
„So viertel nach acht?“
„Das ist nicht dein Ernst, oder?“ Stöhnend ließ er sich zurück in seine Kissen fallen. „Hast du eine Ahnung, wann ich gestern schlafen gegangen bin?“
„Um zehn. Da hast du mich und Elena aus deinem Zimmer geworfen, weil du dich hinlegen wolltest.“
„Echt jetzt? Es kommt mir vor, als hätte ich nur drei oder vier Stunde geschlafen.“
„Es waren zehn.“
„Danke, Rechnen kann ich selbst.“
„Willst du Kaffee?“
„Ich will schlafen.“
„Leider keine Option.“
Daniel stöhnte und fuhr sich mit beiden Händen durch die verstrubbelten blonden Haare. „Schön. Kaffee hört sich gut an.“
Wenig später saßen wir in der Küche, jeder eine Tasse mit dampfendem Inhalt in der Hand.
„Dani, so langsam mache ich mir echt Sorgen um dich.“
Er blickte auf, dann richtete er seine Augen wieder auf den Kaffee. „Da fehlt Milch.“ Er stand auf und ging zum Kühlschrank.
„Dani.“
„Und Zucker.“
„Du kannst dem Thema nicht ewig aus dem Weg gehen. Oder was willst du nach Milch und Zucker noch alles in deinen Kaffee kippen?“
Er blieb an die Arbeitsplatte gelehnt stehen und rührte in seinem Ka ffee. Sein Blick huschte zum Vorhang, der die Küche vom Flur trennte. Er sah aus wie ein Beutetier auf
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