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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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Bitte setzen Sie sich.«
    Der Mann vor mir war klein, sehr dunkelhäutig und trug einen anthrazitgrauen Anzug mit kurzen Ärmeln und Button-down-Taschen; er hatte eine Aktenmappe in der Hand. Der erste Mann stellte einen zweiten Stuhl ins Zimmer und ging. Der zweite Mann nahm den Stuhl und platzierte ihn nicht mir gegenüber, wie man erwartet hätte, sondern auf dieselbe Seite des Schreibtisches. Als er sich setzte, berührten sich unsere Knie und Ellbogen praktisch. Er legte die Dokumente auf den Schreibtisch und faltete die Hände.
    »Ich muss mich für die Ungelegenheiten entschuldigen, die wir Ihnen bereitet haben, Mr Cole. Ich weiß, dass Sie Lehrer an der Universität sind.«
    »Dozent.«
    »Natürlich.« Er lächelte. »Ich hoffe, Sie kommen aufgrund dieser Sache nicht zu spät zum Unterricht.«
    Ich erwiderte, die Kurse seien für dieses Studienjahr beendet. Ich entspannte mich ein wenig, erleichtert über den zivilen Ton, den er anschlug. Ich hatte angefangen, mich von meiner Fantasie nervös machen zu lassen. Ich erwiderte das Lächeln, um meine Kooperationsbereitschaft zu signalisieren.
    »Gut«, erwiderte er.
    Er zog einen Bleistift aus seiner Tasche und öffnete den Aktendeckel. Dann schrieb er am oberen Rand eines Blatts Papier meinen Namen in Blockbuchstaben. Auf seine Frage hin gab ich meine Adresse an.
    »Was ist Ihr Posten an der Universität?«
    »Ich bin Dozent für Neuere Geschichte.«
    »Und wie lange unterrichten Sie dort schon?«
    Ich sagte es ihm. Er schrieb die Information auf. Er schrieb in einem wahren Schneckentempo, wie ein Abc-Schütze, der seine Buchstaben abmalt.
    »Wenn ich eine Aussage machen soll, könnte ich vielleicht selbst schreiben?«, schlug ich vor.
    »Nicht nötig, Mr Cole.« Er hob die Augen, musterte mich kurz. »Ich weiß, was ich tue.« Etwas in dem Blick, in dem Genuss, den es ihm zu bereiten schien, die Silben meines Namens auszusprechen, hielt mich davon ab, auf meinem Vorschlag zu beharren. Er fügte hinzu: »Das ist keine formelle Aussage. Nur ein paar Notizen für meine Unterlagen.«
    Er stellte mir detailliertere Fragen zu meiner Person. Wie lange ich schon an meiner momentanen Adresse wohnte, wie meine Hauswirtin heiße. Wo ich geboren sei, und wo ich studiert hätte. Welche Kurse ich an der Universität anböte. Bei Erwähnung der europäischen Geschichte hörte er auf zu schreiben, um mir einige Betrachtungen über die Jakobinischen Kriege mitzuteilen, für die er sich nach eigener Aussage interessierte. Als Laie, natürlich, lächelte er. Guy Fawkes. Das katholische Spanien. Der Gunpowder Plot. Erwacht sei sein Interesse für die Materie durch die Rituale der Bonfire Night, die er während seiner Ausbildung in England erlebt habe. Mir erschloss sich nicht, was das alles für eine Relevanz für meinen Fall haben sollte. Aber da er durchaus freundlich wirkte, tat ich so, als hörte ich zu, und presste die Knie zusammen. Ich lechzte nach einer Zigarette, doch ich hatte keine dabei. Er fing wieder an zu schreiben. Unterbrach sich abermals, um sich nach dem Inhalt der Schachtel zu erkundigen. Ich sagte ihm, die Schachtel enthalte einen Kuchen. Die Mine seines Bleistifts brach ab, und er rief nach Ersatz. Die Minuten knirschten vorüber.
    Nach über einer Stunde hatte er mir noch immer keine Frage von Belang gestellt. Ich wusste die Zeit, weil ich einen Blick auf meine Uhr warf.
    Ohne aufzuschauen oder seine penible Transkription meiner Antworten zu unterbrechen, sagte er: »Werden Sie irgendwo erwartet?«
    Ich erwiderte, dass dem nicht so sei, ich aber auf die Toilette müsse.
    Er schrieb weiter.
    »Ich muss auf die Toilette«, wiederholte ich.
    Er sah zu mir auf und schien sich zunächst orientieren zu müssen, wie ein kleines Tier, das aus der Dunkelheit hervorkommt. »Ja, natürlich.«
    »Danke.« Ich stand auf. Er winkte mich wieder zurück.
    »Das hier dauert keine fünf Minuten mehr. Bitte, Mr Cole, haben Sie Geduld. Sobald wir hier fertig sind, werde ich veranlassen, dass jemand Sie zur Toilette führt. Sie können sich entspannen. Frühstücken Sie doch etwas.« Er lächelte und deutete mit einer Kopfbewegung auf den Kuchen.
    Und so ging es weiter, eine banale Frage nach der anderen wurde gestellt und die Antwort sorgfältig notiert. Ich antwortete so gleichmütig, wie ich konnte, wiederholte meine Antworten ein-, zweimal, während er sich damit abmühte, sie wörtlich aufzuschreiben. Dann, ohne Vorwarnung, änderte sich die Natur der Fragen. Ich hatte

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