Lied aus der Vergangenheit
Fahrer, einen Mann mit Panamahut, der mit verbissener Konzentration lenkte. Kai hob die Hand in der Hoffnung, mitgenommen zu werden. Das Auto fuhr vorbei, ohne sein Tempo zu verlangsamen. Kai hatte kaum etwas anderes erwartet. Mittlerweile war er in ein langsames Trotten verfallen, das dem Takt seines eigenen Atems folgte.
An einem Kreisel, einer Straßensperre, verlangsamte Kai seinen Schritt. Fünf Straßen trafen an diesem Punkt aufeinander. Er sah ein rundes Dutzend Soldaten, die zum Teil Fahrzeuge überprüften, zum Teil nur herumstanden. Er sah den Mann mit dem Panamahut am Lenkrad seines Autos sitzen. Ein Soldat öffnete die Tür, der Mann stieg aus, und der Soldat übernahm seinen Platz am Lenkrad. Kai konnte den Mund des Mannes sehen, ein Oval des Protests. Ein Soldat klopfte dem Mann auf die Schulter. Vom Innenraum des Autos warf ihm ein anderer Soldat seinen Aktenkoffer zu. Der Mann versuchte unbeholfen, ihn aufzufangen. Der Wagen setzte mit kreischender Kupplung zurück. Kai ging langsamen Schritts weiter, sein Herz hämmerte in seiner Brust, in seinen Ohren klingelte es. Er ging auf den Kontrollpunkt zu.
Da waren Leute – solche, die verzweifelt genug waren, um sich aus dem Haus zu wagen, oder die nichts zu verlieren hatten, Straßenjungen und Verrückte. Die Jungen jubelten jedem vorbeifahrenden Militärfahrzeug zu, die Verrückten schimpften. Als sie Kai sahen, brüllten ihm mehrere Soldaten zu, zurückzugehen. »Ausgangssperre! Geh nach Haus!« Kai blieb stehen und hob die Hände, dann näherte er sich langsam, sie sollten sehen, dass er Arzt war. Soldaten hatten einen fast abergläubischen Respekt vor Ärzten, da sie nicht wussten, wann sie vielleicht selbst einen brauchen würden. In der Luft hing der schwere Geruch von Ganja. Auf allen fünf Straßen brannten Feuer, Gestalten bewegten sich zwischen Licht und Dunkelheit, stießen Rufe aus wie Dohlen.
»Mansaray!«, rief jemand nach ihm. Ein Bedford-Laster verlangsamte seine Fahrt vor dem Kontrollpunkt. Kai sah hinauf in Dunkelheit. »Mansaray!« Eine Hand streckte sich ihm zwischen den Latten des Pritschenaufbaus entgegen. Mechanisch streckte Kai seinerseits die Hand aus. Weiter vorn ging der Schlagbaum hoch, der Motor des Lasters brummte auf, und das Fahrzeug gewann wieder an Geschwindigkeit. Irgendjemand rief: »Ich sagte: Warten! Warten!« Der Laster stoppte fünf Meter hinter dem Schlagbaum, und Kai rannte darauf zu. Er hatte keine Ahnung, zu wem er lief, wusste nur, dass es seine einzige Chance war. Er kletterte über die Heckklappe und setzte sich gegenüber dem Mann hin, der ihn gerufen hatte, einem Offizier ungefähr seines Alters. »Ein Glück, dass ich dich da gesehen hab, mein Freund.« In der Dunkelheit gelang es Kai anfangs nicht, den Mann einzuordnen, dann fiel es ihm aber ein. Fünf-zu-fünf-Fußball. Kai hatte eine Saison lang in der Collegemannschaft gespielt. Lansana hieß er. Lansana was? Er erinnerte sich nicht.
»Sie haben die Rebellen in die Stadt eingeladen. Zu Gesprächen, sagen sie«, erklärte er Kai. »Aber schau dir das an. Die meisten von denen da sind gar nicht unsere Männer. Ein paar davon, ja.« Ringsum gerieten betrunkene Plünderer unter der Last ihrer Beute ins Torkeln. Mit Kisten und Kartons beladene, verlassene Autos.
Der Bedford setzte Kai zwei Querstraßen vor Nenebahs Haus ab. »Mach’s gut, Mann.« Lansana hob die Hand zum Einschlagen, bevor Kai vom Laster sprang. Ein Lichtschimmer zeigte Kai kurz das Gesicht des Mannes. Über dem Lächeln waren seine Augen stumpf, fast ausdruckslos. Der Blick blieb Kai noch lange im Gedächtnis, bis er ihn als das erkannte, was er war. Angst, Anspannung oder Aufgeregtheit, nichts davon hatte darin gelegen. Und das wiederum verriet noch etwas anderes – das Fehlen jeglicher Hoffnung. Kai dankte Lansana und wünschte, er hätte seinen Nachnamen gewusst.
Das Militär war gespalten, erklärte er Nenebah. Wenn das Militär gespalten war, schwebte jeder in Gefahr. Die Armee, die Rebellen, wer immer sie waren, griffen jetzt Privathäuser an. Selbst die diplomatischen Vertretungen und die Häuser der Weißen.
»Komisch, nicht?«, hatte Nenebah einmal gesagt, nicht damals, davor. Davor, davor. Als sie noch jünger waren, auf der Universität. Worüber hatten sie gesprochen? Irgendeine entlegene Gräueltat in den Nachrichten. Die Studentenschaft verurteilte sie in einer öffentlichen Erklärung. Das war es, ja, er hatte die Aktion mit einem Witz abgetan. Aber sie hatte
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