Lied aus der Vergangenheit
benutzen.«
Er legte seinen Bleistift hin. »Das Problem ist folgendes«, erklärte er langsam, als redete er mit einem Schwachsinnigen. »Die Toiletten auf dieser Etage sind den Beamten vorbehalten. Jemand wird Sie zur richtigen Etage führen müssen, damit Sie die Toiletten dort benutzen.«
»Könnte ich dann vielleicht die Erlaubnis haben, die Beamtentoiletten zu benutzen?«
Er starrte mich an, bevor er mit ausdrucksloser Miene erwiderte: »Ich bin leider nicht befugt, die Genehmigung dazu zu erteilen. Besser, wir machen damit weiter« – er klopfte mit dem Ende des Bleistifts auf das Papier – »und werden fertig. Dann können Sie gehen.« Er fixierte mich weiter. Der Mann war ein kleiner Sadist, Pedanterie seine bevorzugte Waffe. Ich spürte ein Rinnsal von Wut in meinem Bauch. Ich hätte ihn am liebsten geschlagen.
Er befragte mich eine weitere Stunde lang. Ich verheimlichte nichts. Ich hatte nichts zu verheimlichen. Schließlich legte er Bleistift und Aufzeichnungen beiseite, öffnete die Tür und rief jemanden. Ich wurde zu den Toiletten geführt. Der subalterne Beamte, der mich begleitete, bestand darauf, dass ich die Tür der Kabine offen ließ. Ich kehrte ihm den Rücken zu, öffnete den Reißverschluss meiner Hose und urinierte. Ich hatte den Drang so lange unterdrückt, dass die Erleichterung zu gleichen Teilen mit Schmerz gemischt war. Anfangs kam die Pisse nur langsam; als sie ins Becken schlug, war sie trüb und übel riechend.
Ich wurde zum selben Zimmer zurückbegleitet, das jetzt leer war. Keine Spur von Johnson, seinen Papieren oder meinem Kuchen.
»Darf ich jetzt gehen?«, fragte ich.
»Nur eine Minute, bitte.« Mein Begleiter schlenderte davon. Ich wartete. Eine lange Minute verstrich. Jetzt war es im Zimmer heiß, und der Schweißgeruch stammte von mir. Ich hätte mein Jackett ausziehen können, aber ich entschied mich dagegen, weil es sich wie ein Akt der Unterwerfung angefühlt hätte. Ebenso wenig setzte ich mich wieder. Ich ging ein bisschen auf und ab, insoweit es bei den beengten Raumverhältnissen möglich war. Das Zimmer war fünf Schritte lang. Vier Schritte breit. Es muss eine halbe Stunde vergangen sein, ehe Johnson wieder auftauchte.
Bei seinem Anblick verspürte ich eine kalte Bö der Wut. Ich sagte: »Sind wird endlich durch?«
»Aber ja.« Sein Ton war liebenswürdig.
Ich war nicht in der Stimmung dafür. »Darf ich also gehen?«
»Ja, ja. Nur noch ein, zwei Formalitäten, die wir erledigen müssen. Entschuldigen Sie, wenn ich Sie noch ein paar Minuten länger aufhalte. Es wird bestimmt nicht viel Zeit in Anspruch nehmen. Und Sie haben ja gesagt, dass Sie heute keinen Unterricht haben.« Er amüsierte sich auf meine Kosten. »Setzen Sie sich doch.«
»Ich stehe völlig bequem, danke.«
»Es wird für Sie bequemer sein, wenn Sie sitzen.«
Ich rührte mich nicht von der Stelle. Johnson blieb ebenfalls da, wo er war, die Arme vor der Brust verschränkt, und beobachtete mich. Die Sekunden tickten vorüber. Ich konnte das Geräusch von Regen hören, ein Rauschen in der Ferne, gewichtige Tropfen, die von der Dachtraufe und von Ästen fielen. Ich spürte Johnsons Augen auf mir, die mich so ansahen, als wäre ich ein bockiges Kind. Ich war verdrießlich und gekränkt. Der Kopf tat mir weh, und ich verspürte ein seltsames plötzliches Bedürfnis zu weinen. Er hatte mir sogar meinen Kuchen gestohlen.
Johnson räusperte sich. »Es wird für Sie bequemer sein, wenn Sie sitzen.«
Ich wollte schon fast ein zweites Mal ablehnen, als ich erkannte, wie albern ich mich verhielt. Ich zögerte damit lediglich meine Entlassung hinaus.
»Schön.« Ich ging zum Schreibtisch, packte einen der Stühle und schleifte ihn in die Mitte des Zimmers. Ich setzte mich.
Johnson ging zur Tür. »Seien Sie versichert, dass ich mich bemühen werde, Sie nicht länger warten zu lassen als nötig, Mr Cole. Nur ein paar Minuten.« Er lächelte minimal, und als er das Zimmer verlassen hatte, drehte er den Schlüssel hinter sich herum.
Ich hatte mich bei Johnson geirrt. Er hatte ganz und gar nichts Ziviles an sich.
Ich wartete. Draußen ließ der Regen nach, ebbte zu einem fernen Geplätscher ab. Ich lauschte dem Tröpfeln im Fallrohr. Ich saß vielleicht eine Stunde im schwindenden Licht da, bis unvermittelt das Deckenlicht anging. Ein Schalter auf der anderen Seite der Tür. Ich rief, aber keiner antwortete. Ein Gefühl der Taubheit breitete sich in meinen Gesäßbacken aus. Die Hitze war aus dem
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