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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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nie, wer mit wem verwandt war. Sie würden sich wundern, welche politischen Verbindungen selbst ganz einfache Menschen haben konnten, und man hätte sich überhaupt mit Fug und Recht fragen können, wie Johnson seine gegenwärtige Stellung erreicht haben mochte – wenngleich man zugeben musste, dass seine natürliche Begabung für die Aufgabe ihn eigentlich vom Verdacht reinwusch, auf Nepotismus angewiesen zu sein. Während ich sprach, überprüfte, redigierte und veränderte ich den Tenor des Textes. Dabei spürte ich die ganze Zeit Johnsons Blick auf mir. Ich hielt die Hände im Schoß, um ein etwaiges Zittern zu unterdrücken. Ich verlangsamte meine Rede so weit, wie ich es wagte, konzentrierte mich darauf, meine Atmung unter Kontrolle zu bringen.
    Ich wartete darauf, dass Johnson mich unterbrach, aber er hörte zu, ohne ein Wort zu sagen. Ich wiederholte mich ein-, zweimal, als ich davon sprach, inwieweit die Stevenson-Verordnung die Machtverhältnisse zugunsten des Protektorats verschoben hatte. Das spielte keine Rolle. Viel schlimmer war, dass mir der lächerliche Reim einfiel, den mir ein ehemaliger Kollege aus Schottland beigebracht hatte: Beresford-Stooke, der lässt mich kübeln . Ich hatte das absonderliche Gefühl, mein Geist sei zweigeteilt. Die eine Hälfte kontrollierte die Bewegungen meiner Lippen, wie bei einer Bauchrednerpuppe, die Johnson den Inhalt meines Artikels referierte, während in der anderen der absurde Reim endlos ablief. Beresford-Stooke, der lässt mich kübeln; und im Protektorat gibt’s nichts als Übeln . Ich bemühte mich, klar zu denken, die nötige Gehirnhälfte ihren Dienst tun zu lassen. Ich brachte es immerhin fertig, meine Schlussfolgerungen mit knappen Worten wiederzugeben und zu einem Ende zu kommen.
    Johnson sah mir weiterhin starr in die Augen. »Gut gemacht, Mr Cole.« Und er bedachte mich mit seinem – mir allmählich vertrauten – sparsamen Lächeln.
    Ich hatte die Schweißperlen nicht bemerkt, die mir auf die Stirn getreten waren; jetzt spürte ich, wie mir ein Tropfen die Schläfe hinunterzurinnen begann. Ich hatte nicht eine einzige Unwahrheit gesagt, und dennoch hatte ich irgendwie die Prüfung nicht bestanden. Ich wusste in dem Moment, dass Johnson sich niemals überzeugen lassen würde. Ich wusste, was er wollte. Er wollte mich. Ich würde aus dieser Sache nicht so leicht herauskommen. Ich war wütend und unendlich erschöpft. Ich war die Spielchen leid.
    Ich sagte: »Warum erlauben Sie mir nicht, meinen Dekan anzurufen? Er kann alles aufklären.« Das war eine unvollkommene Strategie, eine, die ich nicht freiwillig gewählt hätte. Falls ihn die Nachricht noch nicht erreicht hatte, hätte ich es eigentlich gern vermieden, den Dekan auf meine Festnahme aufmerksam zu machen, da ich sicher war, dass sie gegen mich verwendet werden würde. Ich wusste, wie sein Denken funktionierte, ich würde fortan als Unruhestifter abgestempelt sein. Es hätte Auswirkungen auf meine akademische Laufbahn haben können. Aber andererseits – war es wirklich so wichtig? Ich war kein Senkrechtstarter. Gerade der Aufsatz, der mir jetzt Schwierigkeiten bereitete, war für die Veröffentlichung abgelehnt worden.
    »Häftlinge dürfen, außer mit ihrem Rechtsbeistand, keine Telefongespräche führen.«
    War ich jetzt ein Häftling? Versuchte er, mich einzuschüchtern? Ich zögerte, die Frage weiterzuverfolgen, aus Angst, eine Bestätigung zu erhalten, ein Verdikt. Dann hätte es kein Zurück mehr gegeben. Ich sagte: »Es muss doch eine Möglichkeit geben.«
    »Ich versichere Ihnen, ich kenne die Vorschriften, Mr Cole.« Und nannte er mir den Paragrafen und sogar den Absatz, der die Kontakte zu Häftlingen regelte.
    Ich sagte: »Diese Gesetze wurden während des Ausnahmezustands erlassen.« Und vom vorigen Regime. Darauf war ich in meinem Artikel eingegangen.
    »Das mag sein.« Er legte die Hand flach auf meine Akte, die vor ihm lag. »Mir ist leider nicht klar, worauf Sie damit hinauswollen.«
    Der Wärter kam zurück und eskortierte mich zu meinem Zimmer. »Mein Zimmer«, so nannte ich es schon in meinen Gedanken. Ich setzte mich auf den Stuhl. Ein-, zweimal hörte ich Geräusche von anderen Menschen, Schritte auf dem Korridor. Ich wartete den ganzen Nachmittag und Abend lang. Ich überdachte noch einmal meine Gespräche mit Johnson. Ich brütete über der Existenz einer Akte über mich. Mal erschien mir die Tatsache als folgenschwer, dann wieder als belanglos. Höchstwahrscheinlich

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