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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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Die Übelkeit überwältigt ihn. Das Letzte, was er sieht, bevor er das Bewusstsein verliert, ist ein herrenloser Köter, der ihn vom Straßenrand aus beobachtet.
    Er träumt. Dass er vor einem Strand in Norfolk schwimmt, als Kind. Nur dass jetzt schwarze Kinder von den Felsen aus angeln. Der Traum hat einen Soundtrack, der Text des Lieds kommt ihm immer wieder in den Sinn. The harder they come, the harder they’ll fall, one and all . Er lächelt im Schlaf. Es ist komisch.
    Jetzt ist Kai in seinem Traum, er spricht zu ihm. Was tut Kai hier? Er versucht zu antworten, aber seine Lippen weigern sich, die Wörter zu artikulieren. Er kann nicht sprechen. Adrian will nicht, dass Kai wieder weggeht, nur ist er auf der anderen Seite des Traums gefangen.

24
    Ich schlief auf dem Stuhl, unfähig – und nicht willens –, mich auf den Boden zu legen. Ich schlief vielleicht zwei Stunden, in mich zusammengesunken. Niemand außer Johnson wusste, wo ich war. Mir war klar, was er tat. Ließ mich in meinem eigenen Saft schmoren, um mich weichzukochen – wie es in den Filmen hieß.
    Ich versuchte, mich auf die Fakten zu konzentrieren. Man hatte mich nicht verhaftet oder Anklage gegen mich erhoben. Bislang hatte ich kooperiert. Johnson hatte meinen guten Willen mit Füßen getreten. Er versuchte, mich in die Enge zu treiben, mich zu provozieren. Ich sollte mich so verhalten, als hätte ich etwas zu verbergen. Nun, da gab es nichts. Bislang hatte Johnson mir rein gar nichts vorgeworfen. Andererseits, wie beweist man eigentlich nichts? Wie verteidigt man sich gegen nichts? Die Gedanken gingen mir unaufhörlich durch den Kopf.
    Irgendwann, in tiefer Nacht, sah ich mich plötzlich wie von außen. Eine dunkle verwahrloste Gestalt, zusammengekauert auf einem Stuhl in diesem kleinen leeren Zimmer. Meine Form, meine Silhouette, besaß in meiner Vorstellung keinerlei Details. Das war nicht ich, sondern der Schatten meiner selbst, dessen, was noch von mir verblieb. Es kam mir so vor, als wäre ich bereits verschwunden. Ich bin kein Mensch, der zum Spintisieren neigt, dennoch war ich außerstande, die Gedanken zu zügeln, die undeutlich aus schwefeligen Winkeln meines Unterbewusstseins auftauchten.
    Einmal schreckte ich aus dem Halbschlaf und war sicher, einen Schrei gehört zu haben. Ich horchte. Ich hörte einen dumpfen Schlag, irgendwo im Gebäude, dann nichts mehr. Unmöglich zu sagen, ob ich mir das Geräusch eingebildet hatte, ob es von außen gekommen oder Teil meiner Träume gewesen war.
    Als der Morgen kam, war ich erschöpft, erleichtert darüber, dass die Nacht vorbei war, obwohl ich wusste, dass mir aller Wahrscheinlichkeit nach ein anstrengender Tag bevorstand. Zumindest bot er eine gewisse Hoffnung – wenn auch nur durch die Aussicht auf irgendwelche Fortschritte. Heute war Samstag. Freitagvormittag, als man mich hierher gebracht hatte. Normalerweise wäre ich zu Hause gewesen, hätte Kaffee getrunken und die Zeitungen durchgeblättert. Niemand wartete auf mich, ich hatte keinerlei Verabredungen.
    Um zehn kam ein Wächter mich holen. Ich konnte meinen eigenen stinkenden Atem riechen, spürte die rauen Stoppeln an meinem Kinn, die Flocken von getrocknetem Schweiß in meinen Achselhöhlen. Meine Kleider waren schmutzig und zerknittert. Ich hatte seit meiner Festnahme am vergangenen Tag nichts gegessen. Das Letzte, was ich getrunken hatte, waren ein paar Schluck Wasser aus der hohlen Hand über dem Waschbecken gewesen, als ich auf die Toilette gegangen war.
    Ohne mich anzusehen, schob mich mein Begleiter mit einem Stoß gegen die Schulter aus dem Zimmer. Wir bogen nach links ab, zurück zum Eingang. Einen kurzen Augenblick lang wagte ich zu hoffen, dass man mich freiließ. Ich täuschte mich. Wir bogen vor dem Eingang ab und stiegen zwei Treppen hoch, ein weiterer Gang, ein weiteres Zimmer. Mein Wächter öffnete die Tür und stieß mich hinein. Es war Johnsons Büro. Er saß an seinem Schreibtisch.
    Die ersten Worte, die er an mich richtete, waren: »Es tut mir leid, Mr Cole, es lag nicht in meiner Absicht, Sie über Nacht hierzubehalten. Es ergab sich eine Angelegenheit von einer gewissen Dringlichkeit. Bitte nehmen Sie meine Entschuldigung an.« Er bot mir keinen Stuhl an. Ich blieb vor ihm stehen. Er wiederholte seine Entschuldigung, wobei er das erste Wort nachdrücklich betonte, »Bitte«, und dann mit leiserer Stimme – eine Technik, die das Gefühl von Bedrohung intensivierte und den Eindruck verstärkte, dass er einen

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