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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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wurde Yansaneh freigelassen. Im Lichte dieser neuen Entwicklung empfahl der Anwalt abzuwarten, was als Nächstes passieren würde. Julius’ Entlassung könnte unmittelbar bevorstehen. Noch am selben Tag statteten Saffia und ich Yansaneh einen Besuch ab. Er wirkte – wie soll ich es Ihnen beschreiben? – irgendwie verlangsamt, noch mehr als zuvor. Seine niedrige Stirn gefurcht unter dem geraden Haaransatz. Er strahlte eine Aura von Fassungslosigkeit aus. Ich hielt mich zurück und schaute zu, wie Saffia ihn umarmte, konnte nicht umhin, die Wärme und Zärtlichkeit der Umarmung abzuschätzen. Doch Yansaneh stand einfach nur mit hängenden Armen da. Anschließend machte er kehrt, ging zur Couch und ließ sich darauf plumpsen, schüttelte den Kopf. Ein paar Minuten lang blieben wir drei in Schweigen aneinandergekettet. Yansaneh fragte, ob es etwas Neues über Julius gebe. Mit den hängenden Schultern, den niedergeschlagenen Augen wirkte er kleiner. Irgendwie hatte ich von Yansaneh, dem gutmütigen Pedanten, mehr Stoizismus erwartet.
    Sie stellen sich jetzt vermutlich vor, dass wir ihn über seine Erlebnisse befragten, dass wir nach Fakten bohrten, die wir zusammensetzen könnten, dass wir die Sache drehten und wendeten, um Antworten zu finden. So war es nicht. Wir hörten einfach zu, während er mit leiser Stimme die relevanten Teile seines Martyriums referierte. Er ließ sich beim Reden Zeit, schloss jeden Satz mit einem langen Schweigen. Er war vernommen worden, so wie ich. Die Fragen gingen mehr oder weniger in die gleiche Richtung. Sie schienen nach Agitatoren auf dem Campus zu suchen. Julius. Seine Ansichten, seine Aktivitäten, die Leute, mit denen er verkehrte. Yansaneh erwähnte Treffen in meinem Arbeitszimmer, doch im Gesamtzusammenhang seines Berichts hoben sie sich nicht als besonders bemerkenswert hervor. Alles in allem erzählte er uns nichts, was wir nicht schon gewusst hatten.
    Wir verabschiedeten uns von Yansaneh und fuhren durch die Stadt zurück. Es war früher Abend, Saffias Finger spielten auf dem Lenkrad. Sie sagte: »Man rechnet nie damit, selbst in eine solche Situation zu geraten. Es ist etwas, worüber man liest, etwas, das anderen Leuten in anderen Ländern zustößt.«
    Ich entgegnete nichts. Ein paar Jahre zuvor hatten wir einen Putsch gehabt, unseren ersten, gefolgt von zwei Jahren Militärherrschaft. Nicht gerade das, was man sich erhofft, aber nun. Alles hatte sich irgendwie auf einer anderen Ebene abgespielt, weit weg vom Leben der normalen Bevölkerung. Eines Morgens waren wir aufgewacht und hatten eine neue Regierung gehabt. Und in vielerlei Hinsicht waren die Militärs nicht das Schlimmste, was man sich vorstellen konnte. Öffentlich hatten sie nicht viele unterstützt, aber im privaten Kreis durchaus eine ganze Menge. Jetzt hatten wir wieder eine zivile Regierung.
    »In einem Gebäude in dieser Stadt, in einem Zimmer oder einer Zelle, ist mein Mann. Ich kann ihn nicht sehen. Ich finde keinen Weg zu ihm. Trotzdem weiß ich, dass er dort ist. Und das Gleiche gilt für die Leute, die ihn dort eingesperrt haben. Wie immer es ausgehen mag, selbst wenn Julius morgen entlassen werden sollte, wird nichts mehr so sein, wie es einmal war. Das ist etwas Größeres. Sehen Sie es denn nicht?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Wir sollten die Sache nicht unverhältnismäßig aufbauschen. Sie kennen Johnson nicht so wie ich. Ich habe fast zwei ganze Tage mit diesem Mann verbracht. Er ist derjenige, der hinter dem Ganzen steckt. Es gibt keine große Verschwörung. Johnson sind die Pferde durchgegangen, das ist alles. Mehr steckt nicht dahinter. Aber er ist nicht allmächtig. Um die Dinge weitertreiben zu können, wird er jemanden konsultieren müssen, der über ihm steht, und der wird die Sache beenden.«
    Sie sah mich an. Ich konnte die Hoffnung in ihren Augen erkennen.
    »Meinen Sie wirklich, Elias?« Sie wollte glauben.
    »Ja«, sagte ich bestimmt. »Das meine ich.«

27
    Früher Morgen, einen Monat nach seiner Krankheit. Zur Abwechslung einmal sitzt Adrian selbst am Lenkrad. Er sieht die junge Frau am Straßenrand stehen, zwei Plastikkanister zu ihren Füßen. Das ist sie, da ist er sich sicher, die Frau, die mit Babagaleh gesprochen und deren Gesicht er noch einmal auf dem Poster im Ocean Club gesehen hat. Er späht durch die Windschutzscheibe, möchte sich der Tatsache vergewissern, als sie auf die Fahrbahn tritt und dem herankommenden Auto zuwinkt. Adrians erster Impuls ist zurückzuwinken, doch

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