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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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dann begreift er, dass sie ihn anhalten will. Er bremst, und sie wuchtet die zwei Kanister hinten rein, öffnet die Tür und steigt auf den Beifahrersitz.
    »Danke«, sagt sie, als habe sie die ganze Zeit auf ihn gewartet. »Wasser.«
    »Wasser?«, wiederholt er.
    »Da, wo ich wohne, gibt’s überhaupt kein Wasser. Die haben die Pumpen seit Wochen nicht mehr eingeschaltet.«
    Adrian blinzelt. »Und was tun die Leute dann?«
    Sie macht eine Kopfbewegung in Richtung der Kanister.
    Jetzt begreift er. Er hat schon die Schlangen von Menschen gesehen, oder manchmal eine Reihe von unterschiedlich geformten und gefärbten Kanistern als Platzhalter, die darauf warteten, dass – wenn irgendein Beamter die Zeit für reif befand – das Wasser kam. Die junge Frau sitzt neben ihm und sagt nichts, abgesehen von gelegentlichen Wegweisungen. Eine Viertelstunde später bittet sie ihn zu halten. Bevor Adrian auch nur seine Tür geöffnet hat, ist sie schon ausgestiegen und hat die zwei Kanister heruntergeholt. Schweißperlen stehen ihr auf der Stirn, und sie wischt sie mit der Außenseite des Arms fort.
    »Danke«, sagt sie durch das offene Beifahrerfenster.
    Zum ersten Mal kann er ihr direkt ins Gesicht sehen.
    »Sind Sie das? Auf dem Poster im Ocean Club?«
    »Ja. Bin ich.«
    Er möchte nicht, dass sie geht. »Sind Sie Sängerin?«
    Sie lächelt. »Nein, nein. Wir sind zu mehreren. Leben kann man davon nicht. Es ist mehr eine Freizeitbeschäftigung.«
    Er schweigt kurz, um ihr Zeit, wie er hofft, für eine Einladung zu lassen, aber sie beugt sich wortlos über die Kanister und hebt sie auf. Also sagt er: »Vielleicht könnte ich abends einmal kommen und zuhören.«
    Sie lächelt ihn an, diesmal richtig. Und obwohl er sich ein bisschen bloßgestellt fühlt, fühlt er sich auch gleichzeitig belohnt.
    »Ich weiß nicht, wann wir das nächste Mal wieder im Ocean Club spielen«, sagt sie.
    »Ach.«
    Sie fährt fort: »Aber wenn Sie mal nichts zu tun haben – wir sind im Ruby Rooms. Kennen Sie das?«
    Er nickt. Der Name klingt vertraut, auch wenn er nicht genau weiß, warum. Sie wendet sich ab und geht, nicht die Stufen eines Hauses hinauf, wie er erwartet hatte, sondern die Straße entlang, mit der Last ihrer Kanister kämpfend. Er sieht ihr noch ein paar Augenblicke lang nach, nimmt zur Kenntnis, dass sie sich nicht ein einziges Mal umdreht.
    Am Nachmittag gab Adrian Attila einen Überblick über Agnes’ Fall. Er hielt sich an die klinischen Details, ohne seine Fahrt nach Port Loko und seinen Besuch in Agnes’ Haus zu erwähnen. Stattdessen endete er bei ihrer Entlassung aus der Anstalt. Attilas Reaktion hatte darin bestanden, die Achseln zu zucken und Adrian von seiner Höhe aus zu betrachten, mit dem greifvogelartigen Kopf oben auf seinem gewaltigen Körper. Sie standen auf dem Hof der Anstalt, Attila zur Abwechslung einmal ohne sein Gefolge.
    »Veränderung braucht ihre Zeit, mein Freund«, hatte er gesagt, schon wieder auf dem Sprung, ein Schiff, bereit zum Segelsetzen. »Und manche von uns haben mehr Zeit als andere.« Womit er implizierte, setzt Adrian Ileana später auseinander, dass Adrian eine Eintagsfliege war. Tatsache ist, dass sein Leben sich seit seiner Ankunft sinnerfüllter angefühlt hat, als es in London je der Fall gewesen war. Hier sind die Grenzen endlos, kein Horizont, kein Himmel. Er kann seine Emotionen spüren, fest und gewichtig, wie Steine in seiner offenen Hand. Alles ist hier von größerer Bedeutung.
    Ileana stößt gleichzeitig Qualm und einen Seufzer aus. »Tja ja.« Ihre Stimme ist von Rauch gebeizt. »Nichts zu machen.« Sie hebt nicht den Kopf, schaut ihm nicht in die Augen, sondern qualmt und raschelt mit Akten.
    Adrian ist verblüfft. »Ileana?«
    Sie schaut auf, kneift den Filter fest zwischen Daumen und Zeigefinger und zieht ein weiteres Mal an ihrer Zigarette. Haarfeine Nebenflüsse von Lippenstift münden in die Falten um ihren Mund. Ihre Augen sind, von dunklen Ringen aus Mascara umgeben, blutunterlaufen.
    »Tut mir leid«, sagt sie. Und schüttelt den Kopf.
    »Stimmt was nicht?«
    »Nina. Sie ist angefahren worden. Der Mistkerl hat nicht mal gehalten. Sie hat es geschafft, sich bis nach Hause zu schleppen. Ist vor dem Haus gestorben.«
    »Ach, Ileana! Das tut mir leid.«
    »Das hab ich noch keinem erzählt, aber als ich in der psychiatrischen Anstalt in Bukarest arbeitete, wurde eines Abends eine Patientin direkt aus dem Krankenhaus bei uns aufgenommen. Bei der Mitarbeiterbesprechung am

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