Lied aus der Vergangenheit
Musiker heraus auf die Terrasse und werden sofort von Gratulanten umringt. Sie ist nicht dabei. Als sie schließlich doch erscheint, schlängelt sie sich zwischen den Gruppen von Menschen hindurch. Hier ein Nicken, dort ein Händedruck. Sie bleibt nicht stehen, ist eindeutig auf dem Weg woandershin. Enttäuscht wendet er sich ab. Als er die Augen wieder hebt, steht sie am Tisch.
»Hallo«, sagt er und steht schnell auf.
»Sie sind also wirklich gekommen«, sagt sie. »Wie fanden Sie die Musik?«
»Sie war« – er breitet die Hände aus – »wirklich schön. Danke.«
»Freut mich, dass sie Ihnen gefallen hat.« Sie lächelt ihn an, sieht zu Ileana hinüber.
»Das ist meine Kollegin, Ileana.« Er verstummt. Ihren Namen weiß er nicht.
»Mamakay.«
»Mamakay«, wiederholt er. Damit er ihn nie vergisst.
»Das ist mein Hausname«, sagt sie, als beantworte sie eine Frage.
»Wie bitte?«
»Es ist mein Hausname. Sie wissen schon, nicht der richtige Name, sondern der, den alle benutzen. Ein bisschen wie ein Spitzname. Mamakay heiße ich nach meiner Großtante. Mama Kay. Sie hat sich früher um mich gekümmert. Übrigens eine fürchterliche Frau. Sie hat nichts anderes gemacht als beten.« Sie grinst. »Ich hab sie oft gefragt: Tantchen, wofür betest du? Und sie hat jedes Mal dasselbe geantwortet. Für Gottes Antwort. Eines Tages, als ich schon älter war, sagte ich zu ihr: Vielleicht hat er ja schon geantwortet. Vielleicht ist das seine Antwort.« Und sie breitet die Arme aus. »Vielleicht sagt er uns damit, dass es ihn einen Dreck kümmert!« Sie lacht. »Bringen Sie mir ein Star, bitte«, sagt sie über die Schulter zu einem vorbeieilenden Kellner. Als das Bier kommt, wischt sie die Öffnung mit der flachen Hand ab und trinkt direkt aus der Flasche.
»Setzen Sie sich zu uns«, sagt Adrian.
Während er noch Stunden zuvor matt und müde gewesen war, fühlt er sich jetzt voller Energie. Im Laufe des Abends dreht und wendet sich das Gespräch dahin. Mamakay erzählt ihnen von einer noch immer existierenden Inselfestung, komplett mit Kanonen. Ileana singt die ersten Verse eines rumänischen Volkslieds, mit dem sie den Tod ihres Hundes beklagt und dessen Leben feiert. Sie sprechen über die matriarchalische Gesellschaftsordnung der Hyänen. Darüber, dass Tiere den Menschen überlegen sind, Männer den Frauen und Frauen den Männern. Wie man am besten Tomaten aus Samen zieht. Wie es ist, nass geregnet zu werden, wonach sich Adrian sehnt.
Oft reden nur Ileana und Mamakay miteinander; die zwei Frauen sind sich sympathisch. Es erstaunt ihn, wie schnell zwischen Frauen das Gespräch die nächste Ebene erreicht. Er ist völlig damit zufrieden, den Zuhörer zu spielen, und Ileana dankbar, dass sie mit ihrer Anwesenheit das alles erst möglich macht. Es ist lange her, dass er zuletzt mit Frauen zusammengesessen hat. Er schaut von der einen zur anderen. Ileanas lebhafte Züge, der in ihr Gesicht eingegrabene trockene Humor. Mamakays unterdrückte Energie, die sich in Händen Luft macht, die wild vor ihr tanzen. Sie bleibt bei ihnen. Da er mit jeder verstreichenden Minute mehr befürchtet, ihre Gesellschaft zu verlieren, entschuldigt er sich widersinnig dafür, dass er sie aufhält. Sie wedelt wegwerfend mit ihrer Bierflasche. Später, viel später, bestellen sie etwas zu essen. Sie isst mit den Fingern, ohne Unterbrechung und ohne etwas zu sagen, außer, um das Essen zu loben. Und nagt die Enden ihrer Hühnerknochen ab.
In dieser Nacht träumt er von ihr. Dass er an ihr und ihren Wasserkanistern vorbeifährt und auf Ileana zu, die weiter vorn an der Straße steht. Dass er wendet, bevor er Ileana erreicht, und zu ihr zurückfährt. Es ist kein erotischer Traum im strengen Sinne des Wortes, aber intensiver als jeder, den er je gehabt hat. Und wie im Fall der Musik bleiben ihm weniger Begriffe oder Bilder zurück als die Stimmung, die der Traum erzeugt. In der Vergangenheit haben solche Träume ihn wie beraubt zurückgelassen, begierig, aber unfähig, wieder einzuschlafen, um das Verlorene wiederzufinden. Diesmal wacht er getröstet auf, mit einem ganz anderen Gefühl. Einer vollkommenen Gewissheit.
Am nächsten Tag sieht er sie, und noch einmal am Tag darauf. Jedes Mal hält er. Er steigt aus, um ihr mit den schweren Kanistern zu helfen, und sie setzt sich auf den Sitz neben ihn. Bei der Arbeit trägt sie ein Baumwollkleid. Ärmellos, mit leicht eingerissenem Saum. Ein Sonnenblumenkleid. Sie reibt sich über die Arme,
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