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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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konzentriert er sich mit aller Macht auf den Klang von Salias Stimme.
    Eine Stunde später ist die Vormittagsbesprechung vorüber. Adrian sammelt seine Papiere für die Gruppentherapiesitzung vom Schreibtisch zusammen, der ihm neuerdings in Ileanas Arbeitszimmer zur Verfügung steht. Ileana folgt ihm, stellt sich in die Mitte des Zimmers und beobachtet ihn.
    »Ignorieren Sie mich weiter, und ich fang möglicherweise an, mit Gegenständen zu schmeißen.«
    Er dreht sich zu ihr um. »Tut mir leid.«
    »Was ist los?«
    »Ich bin ein wenig abwesend.«
    »Nein«, sagt sie. »Das meine ich nicht. Was ich gesagt habe, ist: Was ist los? Dass Sie abwesend sind, sehe ich selbst. Irgendwas nicht in Ordnung?«
    »Nein.« Adrian schüttelt den Kopf. Er wendet sich wieder zum Schreibtisch, hört, wie Ileana aufschnaubt und sich entfernt. Er schaut auf. »Hätten Sie Zeit für einen frühen Lunch?«
    »Tut mir leid«, sagt sie. »Ich muss zu meinem Vermieter wegen der Verlängerung meines Mietvertrags. Ein andermal?«
    »Klar.«
    Minuten später macht sich Adrian auf den Weg zum Versammlungsraum. Er schließt die Tür auf und lässt sie einen Spaltbreit offen, während er drinnen Fenster öffnet, Stühle von den Stapeln am hinteren Ende des Zimmers herunternimmt und im Kreis aufstellt. Im Geist kehrt er zu den Ereignissen der Nacht vor einer Woche zurück. Mamakays Schweigen im Auto. Seine eigenen Bemühungen, sich davon nicht beunruhigen zu lassen, obwohl es ihn aus unerklärlichen Gründen doch beunruhigte, und zwar zutiefst.
    Schließlich sagte er: »Er hat dich Nenebah genannt.« Der einzige mögliche Einstieg, der ihm einfiel.
    »Ja«, erwiderte sie, das Gesicht von ihm abgewandt.
    »Das ist also dein Name?« Er klang gereizt, das war ihm selbst klar, schon der eifersüchtige Liebhaber. Ein Bild von Kai, seinem nackten Arm, seiner Schulter, während er in ein Hemd schlüpfte.
    »Ja«, sagte sie.
    »Tut mir leid, aber ich verstehe nicht.« Wie schnell die Gefühle mit ihm durchgingen. Er kam sich lächerlich vor. Er bemühte sich um einen normalen Ton. »Ich dachte, du heißt Mamakay.«
    »Mamakay ist mein Hausname. Ich hab dir doch gesagt, dass ich nach meiner Tante genannt wurde. Nenebah ist mein richtiger Name.« Sie zuckte die Achseln. Er hasste diese Bewegung, die Gleichgültigkeit, die sie zum Ausdruck brachte.
    »Ich verstehe.« Und er hatte geglaubt, so viel von ihr zu wissen.
    Wie sich jetzt herausstellte, wusste er nicht einmal ihren Namen.
    Ein Geräusch lässt Adrian aufschauen. Adecali ist hereingekommen, ohne ein Wort, und hilft beim Stühleaufstellen. Adecali macht Fortschritte, auch wenn er noch immer von Gerüchen verfolgt wird, vor allem dem Geruch von gegartem Fleisch. Vor zwei Wochen hat ein Straßenhändler vor dem Haupteingang der Anstalt seinen Stand aufgebaut und angefangen, Rindfleischspießchen über einem Holzkohlenfeuer zu grillen. Ileana und Adrian hatten sich welche zum Mittagessen gekauft, ebenso ein paar von den Patienten, die ihre Station verlassen durften. Einer von ihnen kam mit seiner Portion zurück und setzte sich auf ein Bett in der Nähe von Adecali. Zehn Minuten später wurde Adrian auf die Station gerufen und fand Adecali vor, der, Rotz und Speichel vor dem Mund, an seinen Ketten zerrte. Seit dem Tag hat Adrian mehrere Einzelsitzungen mit Adecali durchgeführt und versucht, ihn zum Reden zu ermutigen, was der junge Mann manchmal unaufhörlich plappernd tat, manchmal wieder überhaupt nicht. Aber er nahm es sehr genau. Ließ nie eine Sitzung ausfallen. Kleine Schritte, Schritte im Sand. Aber in die richtige Richtung.
    »Danke, Adecali«, sagt Adrian.
    Allmählich erscheinen auch die übrigen Patienten, schlurfen einer nach dem anderen herein und setzen sich auf ihre Stühle. Wie viel Skepsis das Personal seinen Sitzungen auch entgegenbringen mochte – und Adrian hatte durchaus ein, zwei entsprechende Bemerkungen vonseiten der Wärter mitbekommen –, die Männer schienen sie zu wollen. Adrian stellte bald fest, dass es nicht mehr nötig war, in den Krankensälen die Werbetrommel zu rühren, denn wie Adecali kamen sie mittlerweile alle von selbst. Einmal verspätete er sich, vom Verkehr aufgehalten, und da fand er sie alle vor der geschlossenen Tür vor, wie sie schweigend auf ihn warteten.
    »Okay«, sagt Adrian, als alle sitzen. »Wer fängt heute an? Na?«
    Vergangene Nacht hat Adrian unruhig geschlafen und ist mit der Sonne im Gesicht aufgewacht. Mamakay war schon aufgestanden und

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