Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
Vom Netzwerk:
Jetzt bin ich sicher, dass sie mich mag.«
    »Da habe ich gar keinen Zweifel«, sagt Kai.
    »Sie sagt, sie kommt in die Stadt, und dass sie mich da gern besuchen würde.«
    »Das ist gut.«
    »Vielleicht würden Sie sie gern kennenlernen? Ich bin sicher, sie würde Sie gern kennenlernen.«
    »Ich weiß nicht, was ich lieber täte«, sagt Kai.
    »Gut. Das freut mich. Und, Herr Doktor?«
    »Ja?«
    »Ich möchte Ihnen für das Radio danken. Es macht mir viel Freude.«
    Das Radio hatte Kai schon völlig vergessen.
    »Gestern habe ich gehört, wie Leute über eine Armee von Tonsoldaten geredet haben, die in China gemacht und dann unter der Erde begraben wurden. Sie sollten da einen Kaiser im Jenseits bewachen. Das ist etwas ganz Außergewöhnliches. Bitte geben Sie mir mein Heft.« Foday zeigt auf die Fensterbank.
    Kai dreht sich um, sieht das Heft und reicht es Foday, der es aufschlägt und anfängt zu lesen. »Für den ersten Kaiser. Achttausend Soldaten. Fünfhundert Pferde. Mehr als einhundert Streitwagen. Und wissen Sie, was die sonst noch gesagt haben?« Er sieht Kai an, der ihm den Gefallen tut und den Kopf schüttelt. »Nicht einer dieser Krieger hat das gleiche Gesicht. Jeder einzelne hat einen anderen Ausdruck. Da haben die Handwerker darauf geachtet, wie sie sie geformt und dann bemalt haben. Und dann hat man dieselben Handwerker, nach all ihren Mühen und Anstrengungen, da drinnen eingemauert. Ich fand diese Geschichte sehr interessant.«
    »Das ist sie wirklich«, sagt Kai.
    Foday grinst. »Die haben gesagt, dieser Kaiser wollte im Jenseits Krieg führen, um ein neues Reich zu gründen, gegen einen anderen Kaiser, der schon vor ihm gestorben war. Entweder das, oder diese Soldaten waren zu seinem Schutz da.« Foday lacht laut auf. »Ich glaube, dieser Mann war entweder sehr ehrgeizig oder sehr ängstlich.«
    »Ja«, pflichtet ihm Kai, gleichfalls lachend, bei.
    »Oder vielleicht auch beides.«
    Kai schweigt.
    »Das würde ich gern mit eigenen Augen sehen«, sagt Foday.
    »Vielleicht, eines Tages?«, lügt Kai.
    Doch Foday schüttelt den Kopf. »Nein. Aber wenn Sie ein Bild für mich finden, das wäre schön. Möchten Sie das Radio zurückhaben?«
    »Nein«, sagt Kai. »Behalten Sie es nur.« Er hat es vor mehreren Wochen aus Adrians Zimmer genommen. Schwierig, es jetzt wieder zurückzubringen. Er hat Adrian seither nicht gesehen, geschweige denn mit ihm gesprochen. Er investiert jedes Gramm seiner Energie darin, nicht an ihn zu denken. Nicht über Adrian und Nenebah nachzudenken.
    Kai verabschiedet sich von Foday, und während er sich von seinem Bett entfernt, kommt ihm zum ersten Mal der Gedanke: durchaus möglich, dass er zu Fodays abschließender OP nicht mehr hier sein wird.
    Acht Stunden später, und Kai liegt auf dem Rücken und beobachtet einen Silberspeer aus Mondlicht, der sich von dem Spalt zwischen den Vorhängen über die Zimmerdecke legt.
    Er ist hellwach.

48
    Eine Handvoll Männer spielt Fußball, nicht genug für zwei Fünf-Mann-Teams, aber genug für eine Bolzerei. Das Spielfeld ist eine karge Fläche von hartem Gras und nackter Erde. Abgelegte Ketten markieren die Tore. Die Männer spielen barfuß, ohne Hemd und mit viel Ehrgeiz. Attila hat die Fußballspiele genehmigt unter der Voraussetzung, dass Adrian käme und die Aufsicht führte. Ileana und Attila hatten zu viel zu tun, und keiner der Pfleger wurde für ausreichend qualifiziert gehalten, die Verantwortung für die nicht mehr angeketteten Männer zu übernehmen. Niemand zweifelte allerdings an, dass Bewegung den Männern guttun würde. Jetzt beobachtet Adrian das Spiel, bereit, auf etwaige Stimmungsänderungen zu reagieren. Bislang keine Probleme. Die Aufmerksamkeit der Männer gilt ausschließlich dem Ball. Auf dem gegenüberliegenden Weg erscheinen Attila und, hinter ihm, Salia. Der Psychiater bleibt stehen und beobachtet das Spiel, nickt Adrian zu, der zurücknickt. Die Männer spielen unbeirrt weiter.
    Nach dem Spiel hat Adrian eine Sitzung mit Adecali. Als er kommt, sieht der junge Mann erschöpft und abgemagert aus, und er setzt sich erst, als Adrian ihn dazu auffordert. Ein paar Augenblicke lang beobachtet Adrian Adecalis linkes Knie, das auf und ab wippt. Von Zeit zu Zeit werden sein Kopf, sein Hals und seine Schultern von einem konvulsivischen Zittern geschüttelt. Seit er im Zimmer ist, hat er Adrian kein einziges Mal direkt angesehen. Anfangs war Adrian durch die Beobachtung, dass die meisten Patienten den direkten

Weitere Kostenlose Bücher