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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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lang nicht waschen können.
    Als Johnson meine Notizhefte in Empfang nahm, verriet er nicht die geringste Freude oder Befriedigung. Warum überraschte mich das nicht? Weil ich mittlerweile wusste, dass der Mann ein ganzes Repertoire selbst ersonnener Tricks und Machtspielchen beherrschte. Er dankte mir lediglich und forderte einen seiner Männer auf, uns zum Ausgang zu geleiten. Erst da fiel mir Julius wieder ein. Ich blieb an der Tür stehen und wandte mich um. Der Dekan sah mich zögern. Ich schaute Johnson an, der starr auf mich zurückschaute. Der Dekan sah uns beide an. »Um Himmels willen, was ist denn jetzt noch?« Johnson blieb stumm, maß mich aber weiter mit einem ruhigen Blick. Und in diesem Moment erkannte ich, dass Johnson Bescheid wusste. Ich sah es in seinen Augen. Johnson wusste alles. Ich war Sekunden davon entfernt, dieses Gebäude für immer zu verlassen. Ich hatte alles zu verlieren. Ich hielt den Mund. Wir wandten uns ab und gingen. Und das war das letzte Bild, das ich von Johnson mitnahm: hinter seinem Schreibtisch stehend, die Hefte an die Brust gedrückt, eine Gestalt in schwarzem Anzug, ein Priester des Teufels.
    Begreifen Sie also, was geschah? Ich habe nichts getan. Es war Johnson, der Julius sterben ließ. Aber die Wahrheit, die Wahrheit ist, wenn Sie sie wissen wollen – und ich habe viele Jahre lang darüber nachgedacht: Die Wahrheit ist, dass Julius es sich selbst zuzuschreiben hatte. Er wusste nie, was das Beste für ihn gewesen wäre. Er maßte sich zu viel an.«
    So also ändert sich der ganze Verlauf eines Lebens, der Gang der Geschichte.
    Einen Tag später steht Adrian am Fenster und schaut den Männern beim Harken zu. Sie sind jetzt fast fertig, und die Arbeit hat ihnen sichtlich gutgetan.
    Ein Leben, eine Geschichte, ganze Muster des Daseins verändert, einfach durch Nichtstun. Die wortlose Lüge. Die Unterlassungssünde. Wie immer man das nennen mag. Adrian nimmt seine Aktentasche von ihrem gewohnten Platz neben der Tür, tritt auf den Korridor und schließt die Tür hinter sich ab. Elias Cole würde nie seine Mitverantwortung für Julius’ Schicksal anerkennen. Die Aufsplitterung des Gewissens. Cole sprach sich in demselben Augenblick selbst frei, in dem er Johnson die Verantwortung für Julius übertrug, genauso wie er Johnson die Liste der Studenten aushändigte: im Wissen darum, was die wahrscheinliche Folge sein würde. Aber er verweigerte es, sich dieses Wissen einzugestehen. Er sprach sich von der Verantwortung für das größere Verbrechen frei, das allerdings ohne seine Mitwirkung nicht hätte verübt werden können. Es gibt Millionen Elias Coles auf der Welt. Plötzlich fühlt sich Adrian erschöpft.
    Ein, zwei Männer nicken ihm zu, als er vorübergeht. Sie lächeln nicht, sagen nichts, aber er weiß, dass sie ihn inzwischen hoch achten. Salia ist da, er hebt eine Hand. Die Aufsplitterung des Gewissens. Adecali, gequält von den Dingen, die er getan hat. Elias Cole, von denen kaltgelassen, die er nicht getan. Adecali wurde geschmäht und als Verbrecher betrachtet. Cole genoss hohes Ansehen. Doch wo lag die größere Schuld, wenn man denn von Schuld sprechen wollte? Irgendwo in dem Ding, das er ›Seele‹ nennt, weiß Elias Cole es. Adrian war sein letzter Versuch, die Absolution zu erlangen, sein letzter Versuch, sich seine Unbeflecktheit einzureden.
    Adrian fährt langsam nach Hause. Obwohl die Straßen voll von Autos und Minibussen sind, gerät der Verkehr nicht ins Stocken. Als er an einer Kreuzung hält, sieht er einen Mann mit verfilzten Dreadlocks, der einen an ihn geschmiegten mageren Hund mit Bröckchen von Kuchen füttert. Hund wie Mann sehen rundum zufrieden aus. Er überquert alle drei Brücken. Die erste, die den Osten vom Westen der Stadt trennt. Er erreicht die Kreuzung, an der der Polizist mit den Windmühlenarmen steht. Dort biegt er nach rechts ab, fährt über die Halbinselbrücke, an der Julius als Junge einst von den Arbeitern, die sie gebaut hatten, außen hinuntergelassen wurde, damit er alle ihre Initialen in den feuchten Beton eingravieren konnte. Julius’ Brücke. Die letzte und kleinste Brücke ist die über den Fluss, an dem sein neues Zuhause liegt. Adrian biegt in die unbefestigte Zufahrt ein.
    Er ist früh dran. Er weiß, dass Mamakay in letzter Zeit, wenn es ihr gelingt, gern die heißen Nachmittagsstunden verschläft, weil das Baby sie die ganze Nacht wach hält. Es ist schon mehrmals vorgekommen, dass er heimkam und sie auf dem

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