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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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hatte, womit er herumspielen konnte. Eine Schraube, einen Bolzen mit Unterlegscheibe. Julius’ Taschenmurmeln. Das Geräusch kam durch die Wand. Ich hörte ein Husten. Julius. Ich lauschte. Ich klopfte. Das Husten verstummte. Das Klopfen wurde erwidert. Und da war ich mir sicher, dass es Julius war. Ich wagte nicht zu sprechen aus Angst, die Wachen auf den Plan zu rufen. Doch Julius hatte keine solchen Bedenken. ›Hallo‹, sagte er. ›Hallo? Wer ist da?‹ Er konnte unmöglich wissen, dass ich es war. Ich bezweifle sogar, dass er überhaupt von meiner Festnahme wusste, es sei denn, Johnson hätte ihn informiert. Ich zögerte. Ich öffnete den Mund, um zu antworten, und dann hörte ich jemanden kommen. Ein scharfes Hämmern an Julius’ Tür. Der Rest der Nacht verging in völliger Stille. Stille außer dem Geräusch von Julius’ Taschenmurmeln, dem Kreisel, der sich immer und immer wieder müde drehte. Irgendwann hörte auch das auf.
    Am nächsten Abend, nachdem ich einen Tag lang Johnsons Quälerei erduldet hatte, brachte man mich wieder in dieselbe Zelle. Ich lag mit dem Gesicht auf dem körnigen Fußboden. Julius’ Taschenmurmeln hörte ich nicht. Mir kam der Gedanke, dass er verlegt, möglicherweise sogar entlassen worden sei, doch Letzteres bezweifelte ich. Schließlich galt Johnsons Hauptinteresse ja ihm. Ich hatte Angst um mich. Johnson war es gelungen, so viele Indizien und Argumente gegen mich aufzufahren, dass ich schon fast selbst daran glaubte, in die Sache verwickelt zu sein. Ich sah nicht, wie ich da noch herauskommen sollte. Und selbst wenn doch, wäre meine Karriere, mein Ruf, alles für immer beschmutzt gewesen. Es war Samstagnacht, und niemand auf der Welt wusste, wo ich war. Mir graute vor der Nacht, und mir graute vor dem folgenden Tag.
    Irgendwann schlief ich ein und wachte wieder auf. Ein Insekt krabbelte mir über das Gesicht. Zu dunkel, um die Zeiger meiner Uhr sehen zu können. Ich schätzte, dass es irgendwann zwischen zwei und vier sein musste. Ich starrte in die Dunkelheit. Ich horchte verzweifelt nach einem Geräusch, das mir bestätigt hätte, dass ich noch am Leben war. Im früheren Zimmer, im Obergeschoss, hatte ich wenigstens etwas von der Außenwelt gehört. Da unten gab es kein Fenster, gar nichts. Endlich nahm ich ein Geräusch wahr. Ich kroch hinüber zur Wand, hinter der ich Julius vermutete. Ich presste das Ohr dagegen. Ja, jetzt hörte ich es klar und deutlich. Ein Keuchen. Nein, es war irgendwie ein verzweifelteres Geräusch als ein bloßes Keuchen. Ein krampfhaftes Schlucken, so würde ich es am ehesten beschreiben. Ich klopfte. Einmal, zweimal. Aber diesmal klopfte niemand zurück. In meinem Herzen hegte ich keinen Zweifel, dass es Julius war.
    Was sollte ich tun? Rief ich nach einem Wächter, würde höchstwahrscheinlich niemand kommen, und falls doch, war die Wahrscheinlichkeit ebenso groß, dass er gegen mich handgreiflich werden würde. Wir befanden uns an einem unbarmherzigen Ort. Am Ende hätte ich die Situation für mich, für Julius, nur noch verschlimmert. Ich presste das Ohr an die Wand. Ich lehnte mich zurück und überlegte. Julius hatte mit Sicherheit sein Medikament bei sich. Ich zermarterte mir das Hirn, was die beste Entscheidung wäre. Ich sagte mir, dass er so schlimm nicht klang. Dass er mit Sicherheit imstande gewesen wäre, selbst um Hilfe zu rufen, wenn es wirklich ernst um ihn gestanden hätte. Dann wieder fragte ich mich besorgt, wie lang er schon in diesem Zustand gewesen sein mochte. Ich sagte mir, dass die Wachen im Laufe des Tages bestimmt mehrmals in seiner Zelle gewesen waren. So gingen meine Gedanken hin und her. Irgendwann hörte ich ein Husten. Ich deutete es als ein gutes Zeichen. Irgendwie schlief ich ein. Als ich aufwachte, war es früher Morgen, und ich lebte noch immer in diesem Albtraum.
    An diesem Vormittag kam der Dekan mich besuchen. Es wurde ein Kompromiss mit Johnson vereinbart. Ich gab ihm meine Notizhefte im Tausch für meine Freiheit. Ich sah die Zelle im Untergeschoss nicht wieder. In diesen ersten Minuten war ich so erleichtert darüber, frei zu sein, dass ich Julius völlig vergaß. Der Dekan begleitete mich zu meinem Arbeitszimmer im Fakultätsgebäude, damit ich die Notizhefte holte. Er war gereizt, ärgerlich darüber, meinetwegen zu einer Zeit gerufen worden zu sein, da er eigentlich in der Kirche hätte sein sollen. Ich merkte, dass mein Geruch ihn abstieß, denn ich hatte mich unter diesen Umständen zwei Tage

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