Lied aus der Vergangenheit
er gerade hergestellt hat. Es kann nicht einfach ein Zufall sein. Es war ihm schon aufgefallen, dass Naasu die einzige Tochter ist, über die sie jemals redet. Die Wanderungen finden statt, wenn Naasu nicht zu Hause ist. Er atmet aus und lehnt sich wieder zurück. Er kann es kaum erwarten, wieder mit Agnes zu sprechen. Er muss aufpassen, dass er sie nicht hetzt. Worüber hatten sie gerade gesprochen, als sie die Goldkette wieder erwähnt hatte? Er hatte sie gefragt, wer außer ihr im Haus gewesen war. Er hatte das Mädchen erwähnt, ihren Schwiegersohn. Er überlegt, ob das etwas zu bedeuten hat. Plötzliche Themenwechsel waren manchmal Indizien dafür, dass ein Patient etwas vermeiden wollte: Das Unterbewusstsein führte ein Ausweichmanöver durch.
Ileana kehrt mit dem Wein zurück.
»Es kann viel Zeit erfordern«, knüpft sie an ihr vorheriges Thema an. »Ich meine, diesen Auslöser zu finden, falls es denn einen gibt. Jahrelange Exploration. Therapie. Und selbst dann gibt es keine Garantien. Schließlich waren es wir Europäer, die die Gesprächstherapie erfunden haben. Und dazu die meisten Erkrankungen, gegen die sie angeblich hilft.« Sie schnaubt leise.
»Es gibt auch andere Wege«, sagt Adrian.
»Was denn zum Beispiel, Hypnose?«
»Ja. Haben Sie das je ausprobiert?«
»Nein«, erwidert Ileana. »Ich weiß nicht, was Attila davon halten würde. Ich weiß nur, dass ich das für ziemlich verfrüht halte.«
»Natürlich«, räumt Adrian ein. »Es war nur so ein Gedanke.«
Ileana steht auf und schrappt die Reste des einen Tellers auf den anderen, die Fragmente von Krebsschalen und leere Scheren. Draußen auf dem Meer reitet ein Fischerkanu schwerelos auf den flachen Wellen, eine Reihe von Schwimmern markiert die Form des Netzes. Ileana ist in der Küche. Zwei Frauen kommen den Strand entlang; eine von ihnen winkt Adrian zu. Einen Augenblick später winkt sie noch einmal. In der Annahme, dass sie ihn für jemand anders hält, winkt Adrian höflich zurück. Die Frauen wechseln die Richtung und kommen den Strand herauf, geradewegs auf ihn zu.
»Hallo«, sagt die eine, die gewinkt hat. Sie ist hoch gewachsen, hat fast so breite Schultern wie er, eine athletische Figur, blondes Haar und vorstehende Zähne. Ihre Gefährtin ist kleiner, hat kleine Brüste, aber eine gute Figur, rötliches Haar und einen roten Bikini, die blasse Haut eines echten Rotschopfs.
»Guten Tag«, sagt Adrian und beschirmt sich die Augen gegen die Sonne, während er aufschaut.
»Wir haben Sie gesehen und dachten, wir kommen und sagen Hallo. Bei Pedro, vor ein paar Wochen.« Sie hat einen amerikanischen Akzent.
»Natürlich«, erwidert Adrian. Jetzt erkennt er sie als die Frau aus der Bar wieder, von dem Abend, als er zusammen mit Kai ein Bier nach dem anderen getrunken hat. Kai hatte sie abblitzen lassen, was sie allerdings nicht gestört zu haben schien.
»Schönen Tag so weit?«
»Absolut.«
»Ist der Strand nicht toll? Aber es gibt andere, die sogar noch besser sind, mit tollen Strandbars, wenn man sie als solche bezeichnen kann. Natürlich brauchen die ewig, um das Essen zu bringen. Und jedes zweite Mal, wo man hingeht, haben die das, was man haben will, gar nicht da. Aber ist das nicht überall so? Man gewöhnt sich dran. Der Hummer ist umwerfend und kostet grade mal um die zwei Dollar das Stück. Ist daheim nicht drin. Irgend so ein Typ springt von den Felsen ins Meer und holt einem auf Bestellung frische Austern. Die kosten einen Dollar das Dutzend.« Sie setzt sich auf Ileanas Stuhl. »Waren Sie schon mal im Shangri-La?«
»Das ist mein erster Tag am Strand überhaupt.«
»Sie machen Witze! Übrigens, ich bin Candy. Das ist Elle.« Sie arbeiten hier beide für Hilfsorganisationen. Adrian erzählt ihnen seinerseits von seiner Stelle im Krankenhaus.
»Dann ist das also nicht Ihr Haus?«
»Nein.« Adrian erwähnt Ileana. Candy zuckt die Achseln und schüttelt den Kopf. Zwei Männer, die Sarongs und Souvenirs verkaufen, kommen näher und fangen an, ihre Waren vorzuführen: Batikstoffe, Hämatit-Halsketten und blank schimmernde geschnitzte Tierfiguren. Einer der Männer ist Mitte fünfzig, der andere Mitte zwanzig und hat einen nackten glatten muskulösen Oberkörper. Weder Candy noch Elle schenken den Männern oder ihren Waren die geringste Beachtung. Elle setzt sich in den Sand, kehrt den beiden den Rücken zu und legt sich auf den Bauch; dabei greift sie nach unten und zupft ihr Bikini-Unterteil zurecht, lässt den
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