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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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einem Napf Suppe in der Hand. Beim Geräusch des Napfes, der auf den Nachttisch gestellt wird, öffnet Adrian die Augen. Kai geht hinaus und kommt mit einer Schüssel zurück, diesmal voll Wasser, dazu Seife und ein Handtuch.
    »Ich kann mich auch im Bad waschen, weißt du.«
    »Klar kannst du. Ist bloß einfacher für mich, die Schüssel zu tragen, als dich, das ist alles.«
    Adrian lächelt und stemmt sich hoch. Er wäscht sich die Hände. In den drei Tagen ist er abgemagert, die Knochen in seinem Gesicht treten hervor.
    Kai reicht ihm den Napf und den Löffel. »Chilisuppe. Allheilmittel. Gut für alles von Kater bis Malaria. Auch gut für die Seele. Wie jüdische Hühnersuppe, nur besser. Beide haben erwiesenermaßen eine heilende und kräftigende Wirkung.«
    »Ich glaub’s dir.«
    »Gut.«
    »Ich habe geträumt«, sagt Adrian zwischen einzelnen Schlucken. »Bin unter Wasser geschwommen. Die Fische. Die Farben, mein Gott. Ist das immer so?«
    Kai nickt. »Leichte Delirien vielleicht. Es kann manchmal auch an den Medikamenten liegen, nicht lediglich an der Krankheit.«
    Eine Bewegung am Fenster auf der anderen Seite des Zimmers, und sie drehen sich beide um. Es ist der Honigsauger. Der Körper des Vogels ist gebogen, seine Flügel schwirren so schnell, dass sie mit bloßem Auge nicht zu sehen sind, nur der schlanke Leib des Vogels, ein Komma, hängend in der Luft, oder ein Innehalten in der Zeit. Kai hat die Vogeltränke vor das Schlafzimmerfenster umgehängt. Ihr Anblick vom Küchenfenster aus hatte an dem Morgen eine Erinnerung aus seiner Kindheit wachgerufen – er muss wirklich noch sehr klein gewesen sein, denn die Erinnerung war von keinerlei Gedanken begleitet, nur von körperlichen Empfindungen –, einem solchen Vogel durch einen Garten gefolgt zu sein. Nicht, um ihn zu fangen, sondern um ihn nachzuahmen. Er erinnerte sich, eine Blüte gepflückt und sich in den Mund gesteckt zu haben, erinnerte sich an die Staubigkeit der Pollen, den Geschmack der zerdrückten Blütenblätter und endlich: an die Süße.
    Adrians Zeichenblock und Malkasten liegen auf dem Fußboden neben dem Bett, wo Kai sie hingelegt hat. »Ich fühle mich viel zu beschissen, um mich langweilen zu können«, sagt Adrian.
    »Wart’s ab. Du musst dich wenigstens eine Woche ausruhen, bevor du wieder arbeiten kannst. Du wirst dich schon noch langweilen.«
    »Ich kann mir eine Woche nicht leisten.«
    »Hör zu.« Kai setzt sich auf die Bettkante. »Den Letzten, der auf den Rat, den ich dir gerade gegeben habe, nicht gehört hat, mussten wir drei Monate später in die Heimat zurückverfrachten. Er hat ein Jahr lang nicht wieder arbeiten können. Es ist nicht nur die Malaria. In diesem Klima kämpft der Körper an sämtlichen Fronten. Wenn man hier auf die Welt kommt, gewöhnt man sich daran. Andererseits hat es einen Grund, warum die Lebenserwartung hier so niedrig ist. Also hör auf mich.«
    In Adrians Auftrag ruft Kai Ileana an und lässt außerdem dem alten Mann eine Nachricht zukommen. Anschließend holt er Medikamente aus der Krankenhausapotheke und kehrt dann wieder zu Adrians Wohnung zurück.
    »Der Typ im Privatzimmer. Du hast mir von ihm erzählt. Lungenfibrose, stimmt’s?«
    »Stimmt.«
    »Den Namen auf dem Krankenblatt zu lesen, konnte ich mir sparen.«
    »Warum? Kennst du ihn?«
    »Ja. Na ja, ich kannte ihn. Von der Uni her.«
    »Er war Dozent, stimmt’s?«
    »Mehr als das, zu meiner Zeit war er Dekan der philosophischen Fakultät.«
    »Ach?«, sagt Adrian. »Fragst du aus einem bestimmten Grund?«
    Kai atmet tief durch. »Eigentlich nicht. Wie kommst du mit der Suppe klar?«
    »Ich fühl mich schon besser.«
    »Trink nur in Ruhe aus«, sagt Kai. Er verlässt das Schlafzimmer, durchquert das Wohnzimmer, öffnet die Haustür und schaut hinaus auf den Innenhof des Krankenhauses.
    Elias Cole. Wie dieser Name Kai in eine andere Zeit zurückversetzt, ihn in einen Ort der Vergangenheit fallen lässt, den er nicht wiedersehen möchte! Er sucht nach etwas anderem, woran er denken könnte, klammert sich an ein Bild, das ihm seine Schwester ein paar Jahre früher geschickt hat: die ganze Familie, minus Kai natürlich, beim Walebeobachten in Vancouver. Auf dem Bild gaben seine Eltern unsichere, vierschrötige Touristen ab, in Strickjacken mit Reißverschluss und mit feierlichen Mienen, wie zu groß geratene Kinder. Zwischen ihnen grimassierten die zwei Kinder seiner Schwester für die Kamera; der Junge hatte sich vor die Gruppe gedrängt,

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