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LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition)

LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition)

Titel: LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Everson
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sie in den kalten Schlamm des Meeresgrundes zog. Sie spürte, wie Seetang ihre Beine streifte, spürte einen heißen Atemzug an ihrem Hals, als auch schon ihre Haut einriss. Direkt vor ihr bauten sich, nur wenige Zentimeter außerhalb ihrer Reichweite, wie eine Wand die Planken des alten Schiffes auf. All diese Anstrengungen, dachte sie, und dann komme ich doch nicht rein?
    Die Sirene drehte sie um, sodass sie mit dem Rücken im Schlick landete, und lächelte sie an. Als sie den Mund öffnete, blieb Vicky beinahe das Herz stehen. Sie entblößte lange, spitze Beißer, die sie in das weiche Fleisch ihrer Kehle schlug. Und dann begann sie, mit aller Kraft daran zu zerren …
    Schreiend fuhr Vicky Blanchard aus dem Schlaf hoch. Ihr Körper war schweißgebadet. Sie schlug die Bettdecke zurück und trat sie zur Seite.
    »Brr«, stieß sie hervor, als sie begriff, dass sie sich nicht unter Wasser befand, sondern in ihrem dunklen Schlafzimmer, und lediglich einen düsteren, unheimlichen Traum gehabt hatte.
    Sie blieb auf dem Rücken liegen, glättete mit den Handflächen das Nachthemd um ihre Taille und starrte minutenlang an die Decke, während sie ihr Herz zu überreden versuchte, nicht mehr so heftig zu pochen, und sich bemühte, ihrem erhitzten Körper durch langsame Bewegungen Abkühlung zu verschaffen.
    Als der Schweiß schließlich erkaltete, zog sie die Decke wieder über sich und starrte in die Ecken ihres Zimmers. Alles kam ihr irgendwie seltsam vor. Die Behaglichkeit ihres Heims wich einem Gefühl von Befremdung und Gefahr.
    »Es war nur ein schlimmer Traum«, sagte sie laut in dem Versuch, sich zu beruhigen. »Bloß ein schlimmer Traum.«
    Doch im gleichen Moment wusste Vicky, dass es mehr war als bloß ein schlimmer Traum. Sie machte sich Sorgen. Nein, mehr als Sorgen. Sie war nicht ohne Grund Psychiaterin geworden; sie hielt sich nämlich nicht nur für eine exzellente Zuhörerin – sie konnte Dinge spüren . Freunde hatten häufig behauptet, sie verfüge über mediale Fähigkeiten – wenn sie an jemanden dachte, klingelte 20 Sekunden später ihr Telefon. Immer schien sie »so ein Gefühl« zu haben, kurz bevor etwas passierte.
    Evan war diese Woche nicht zu seinem Termin erschienen und hatte sonderbarerweise auch nicht auf die Nachricht, die sie ihm auf den Anrufbeantworter gesprochen hatte, reagiert. In dem Jahr, das sie ihn nun kannte, hatte er nie einen Termin platzen lassen, ohne vorher abzusagen. Schon seit ein paar Tagen machte sie sich Sorgen und glaubte, dass womöglich etwas nicht stimmte, und nun verfolgte sie dieser Instinkt bis in den Schlaf. Die ganzen Geschichten über Evans Begegnungen mit einer geheimnisvollen Frau am Strand hatten sich in ihrem Unterbewusstsein eingenistet. Genauso wie die Theorie seines besten Freundes, es handele sich in Wahrheit um die legendäre Sirene von Delilah. Und jetzt konnte sie nicht mehr einschlafen.
    Vicky schüttelte verärgert den Kopf. Es war gefährlich, sich in solchem Ausmaß auf einen Patienten einzulassen. Evan hatte ihr von Anfang an leidgetan, und eine Zeit lang hatte sie tatsächlich geglaubt, sie hätten Fortschritte erzielt. Doch nachdem er ihr im vergangenen Monat schluckweise reinen Wein eingeschenkt hatte, auf welch fantastisch anmutende Weise er seine Frau betrog, war sie unruhig geworden. Womöglich, dachte sie, hatten sie nicht den geringsten Fortschritt zu verzeichnen. Eher sogar das Gegenteil. Seine Angst vor dem Meer hatte sich zu einer regelrechten Besessenheit entwickelt. Er war besessen von einer Frau, die angeblich in den Tiefen der Fluten lebte. Das war eine ziemlich schwache Ausrede dafür, seine Frau zu betrügen. Zumal sie ihn im Augenblick mehr denn je brauchte, wie Vicky wusste. Während Evan das Trauma allmählich verarbeitete, war seine Frau im Laufe des vergangenen Jahres zunehmend labiler geworden. Aber möglicherweise lag sie mit ihrer Einschätzung auch vollkommen daneben.
    Vicky schüttelte die Traumbilder ab. Es war unvernünftig, eine emotionale Bindung zu einem Patienten aufzubauen, keine Frage. Von ihr wurde erwartet, dass sie die Distanz wahrte. Sich zurückhielt und die Situation objektiv analysierte.
    Aber sie hatte sich diesen Beruf ausgesucht, weil ihr etwas an Menschen lag. Und nach einem Jahr wöchentlicher Sitzungen lag ihr eben auch etwas an Evan.
    Vicky holte tief Luft und verdrängte die Traumbilder vom finsteren Ozean. Am Montag würde sie Evan noch einmal anrufen. Es war alles in Ordnung, sprach sie sich

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