LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition)
Evan rief nach ihr, bis ihm die Stimme versagte und er begriff, dass es sinnlos war.
Sie würde heute nicht kommen.
Er hatte sich darauf verlassen, dass sie früher oder später auftauchte, so wie jedes Mal, wenn er in den letzten paar Wochen dem Strand einen Besuch abstattete … aber … nicht heute Nacht.
Evan kämpfte sich zwischen den Felsen hindurch ans Ufer zurück, bis er wieder Sand unter den Füßen spürte, und blickte auf die gierige, finstere Wasserfläche hinaus. Er hoffte inständig, dass es eine andere Erklärung für ihre Abwesenheit gab, befürchtete jedoch, dass Ligeia wütend auf ihn war, weil er sich mit Sarah über das Wochenende verkrümelt hatte. Als er bei ihrem letzten Zusammentreffen die geplante Fahrt nach New York erwähnte, wirkte sie alles andere als erfreut und zog eine Schnute, als betrüge er sie. Was für ein Witz!
Wie vor den Kopf gestoßen, begab er sich langsam auf den Rückweg. Er trottete den Strand entlang auf die Straße zu, die ihn nach Hause führte. Im Grunde konnte er auf künftige Spaziergänge einfach verzichten, um das gleiche Ergebnis zu erzielen. Dann wäre es aus mit seiner »Geliebten«. Bitter lachte er auf. Geliebte . Das Wort klang lächerlich, wenn er es benutzte, um über jemanden zu reden, der in einer gänzlich undefinierten Beziehung zu ihm stand. Er war keinesfalls der Typ Mann, der seine Frau betrog – hatte er jedenfalls immer gedacht. Und doch hatte er es getan . Und zwar mehrfach. Zum wiederholten Mal dachte er daran, wie sie es miteinander im Sand getrieben hatten, und zuckte die Achseln. Wenn man bedachte, wie oft er im vergangenen Jahr in puncto Sex von seiner Ehefrau abgewiesen worden war, konnte man ihm das wohl kaum zum Vorwurf machen. Trotzdem … es war genau das Gegenteil von dem, was er sein wollte. Außerdem hatte Sarah das nicht verdient.
Er konnte nicht Schluss machen, indem er sich davonstahl. Dieses Kapitel seines Lebens musste er vernünftig abschließen. Er musste Ligeia Lebewohl sagen, so viel war er ihr schuldig – und sich selbst ebenfalls.
Als Evan nach Hause kam, wartete Sarah bereits auf ihn. Sie saß im Sessel und nippte an einer Tasse Earl Grey. Als er die Glastür hinter sich zuzog, blickte sie auf und sagte lediglich: »Hey.«
»Hey«, erwiderte er und kniete sich neben ihren Sessel. Im Fernsehen beschwor der Typ vom Wetterdienst gerade Regen für den morgigen Nachmittag herauf.
»Morgen dürftest du wohl nicht allzu viel zu tun haben.« Ihre Stimme klang warm, wie immer, wenn sie kurz davor stand, wegzudämmern.
»Das bezweifle ich«, entgegnete er. »Morgen ist eine Riesenladung aus Oregon fällig. Egal, ob es regnet oder schneit, wir müssen am Kai bereitstehen.«
»Uff«, murmelte sie, ehe sie ihm einen kühlen Finger aufs Gesicht legte. »Du hast geweint«, sagte sie sanft.
»Ja«, erwiderte Evan. »Manchmal muss man seinem Schmerz freien Lauf lassen.«
»Ich weiß«, erwiderte sie, stellte ihre Tasse ab und breitete ihre Arme aus. »Aber das solltest du gemeinsam mit mir tun.«
Er drängte sich in ihre Umarmung und begrub den Kopf an ihrer Brust. Ihr Duft war angenehm, sie roch nach Lavendel und Honig. Er merkte, wie ihm schon wieder das Wasser in die Augen trat, zum mittlerweile dritten Mal heute Nacht, und er ließ seine Tränen fließen.
»Ich liebe dich«, flüsterte er. Ihm war, als verkrampfe sich sein Herz bei diesen Worten.
Sie strich ihm mit der Hand übers Haar. »Ich weiß, Baby. Ich liebe dich auch.«
In der folgenden Nacht erschien Ligeia nicht. Und auch nicht in der Nacht darauf.
Evan begann sich zu fragen, ob er nicht vielleicht doch etwas an der Waffel hatte – vielleicht war sie nichts weiter als ein Fiebertraum gewesen, eine verquere Halluzination, die ihn dazu zwang, seine Prioritäten neu zu ordnen und die Dinge zwischen ihm und seiner Frau in Ordnung zu bringen, ehe es zu spät war.
In San Francisco hatte er Sarah das Versprechen gegeben, damit aufzuhören, die halbe Nacht am Strand zu verbringen, sich bislang aber nicht daran gehalten. Er musste einen Schlussstrich ziehen. Allerdings wollte er das nicht ohne eine angemessene Verabschiedung. Oder war sie längst weg? Hatte sie sich, während er in San Francisco war, einem anderen Kerl an den Hals geschmissen, weil sie davon ausging, dass er keinen Bedarf mehr für sie hatte, wenn er mit seiner Frau einen Neuanfang wagte?
Letztlich war es genau so gekommen. Vielleicht hatte sie rechtzeitig gemerkt, wie der Hase läuft.
Am
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