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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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vorstellte. Liebe war Sehnsucht, die erfüllt wurde. Keine Angst, kein Zweifel, kein Druck. Und schon gar keine Peinlichkeit. Liebe auf den ersten Blick musste so sein, dass man fühlte: der oder keiner. Ein wichtiges Indiz dafür war der Wunsch, zu diesem Menschen zu gelangen und sich in seine weit ausgebreiteten Arme zu werfen. Und keinesfalls, vor ihm davonzulaufen und sich zu verstecken. Das war nämlich der einzige Impuls, den sie verspürte, wenn sie an den Fremden dachte. So viel wusste sie. Und dass ihr Magen sich jedes Mal dabei zusammenzog und dass das ähnlich angenehm war wie im Unterricht plötzlich aufgerufen zu werden und die Antwort nicht zu kennen.
    Peinlich, peinlich, peinlich. Das war es gewesen. Definitiv also das absolute Gegenteil von Liebe.
    Gerade fuhr der Bus über die Rheinbrücke. Um sich abzulenken, zählte Sabrina noch einmal alles zusammen, was
dieser Tag an unangenehmen Überraschungen für sie bereit gehalten hatte. Die schlimmste stand ihr noch bevor. In Neuwied musste sie in den Bus nach Leutesdorf umsteigen und würde erst nach Mitternacht zu Hause sein.
    Einen Moment überlegte sie, ihre Mutter anzurufen. Dann ließ sie es bleiben. Franziska hatte sie auch nicht vorgewarnt, dass ein fremder Mann bei ihr übernachtet hatte. Wenn man beides gegeneinander abwog, fand Sabrina ihr eigenes Verhalten überhaupt nicht mehr schlimm. Doch als sie in den Hof kam und das Licht im Küchenfenster bemerkte, wurde ihr doch etwas flau im Magen. Ich bin jetzt sechzehn, dachte sie trotzig. Da kann man ja wohl mal bis Mitternacht wegbleiben, vor allem am Geburtstag.
    Aber die Uhr über dem Herd zeigte schon kurz nach halb eins. Franziska lag mit dem Kopf auf dem Tisch und schlief. Vor sich hatte sie wieder einige Rechnungen ausgebreitet. Sabrina trat näher. Vielleicht lag der Pachtvertrag hier herum, auf den würde sie gerne noch einmal einen Blick werfen. Bestimmt gab es ein Rücktrittsrecht, so etwas sollte es bei allen Verträgen geben. Doch um sich die Papiere näher anzusehen, hätte sie Franziska berühren und wecken müssen.
    Sabrina betrachtete ihre schlafende Mutter und eine kleine Liebeswelle schwappte über ihr Herz. Sie sollte sich nicht immer so viel Sorgen machen, sondern endlich mal ein bisschen mehr an sich selbst denken. Nicht, dass sie nun jede Nacht einen anderen anschleppen sollte, aber Sabrina wünschte, sie würde vielleicht mal früher ins Bett gehen und darauf vertrauen, dass Schulden nicht weniger wurden, wenn man die Zahlen stundenlang anstarrte. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.
    »Hmmm?«
    Mit einem schlaftrunkenen Laut blinzelte ihre Mutter ins Licht. Dann erkannte sie Sabrina und richtete sich auf. Ihr zweiter Blick fiel auf die Uhr. »Mein Gott. Schon so spät.« Erst jetzt fiel ihr auf, dass Sabrina wohl gerade erst nach Hause gekommen sein musste. »Wo warst du? Hatten wir
nicht gesagt, während der grünen Lese bist du um zehn zu Hause?«
    Die kleine Liebeswelle strandete am schroffen Ufer der Vorwürfe. »Ich hatte Geburtstag«, antwortete Sabrina eisig.
    Sie ging zum Herd und schaute in den einen Topf, der dort noch stand. Rouladen. Wieder zog sich ihr Herz zusammen. Sie liebte Rouladen. Und die hier sahen aus, als hätten sie schon Stunden dort gestanden. Es hatte immer zur Tradition gehört, dass Sabrina an ihrem Geburtstag ihr Lieblingsessen bekam. Jetzt stand es, eingetrocknet, ungenießbar, kalt auf dem Herd und machte Sabrina ein noch schlechteres Gewissen.
    »Ich weiß«, sagte ihre Mutter in ihrem Rücken. »Ich habe den ganzen Abend auf dich gewartet.«
    »Du hättest anrufen können!«
    »Nun, ich dachte: Vertrauen gegen Vertrauen. Mit sechzehn will man ja von der Mutter nicht mehr daran erinnert werden, dass man zum Essen nach Hause kommen soll.« Franziska schwieg einen Moment. »Mit sechzehn«, fuhr sie schließlich fort, »sollte man von allein daran denken.«
    Sabrina setzte den Deckel etwas zu laut auf den Topf und drehte sich um. »Es tut mir leid, okay? Das kann man aufwärmen. Ich bin müde. Gute Nacht.«
    Sie wollte an ihrer Mutter vorbei, doch die griff nach Sabrinas Arm und zog sie etwas zu sich heran. »Was sind das für Sachen, die du anhast?«
    »Die habe ich von Amelie.«
    Franziska Doberstein hob die Augenbrauen. Mehr an Gefühlsäußerung erlaubte sie sich dazu nicht. »Dann solltest du sie in die Waschmaschine tun, bevor du sie ihr zurückgibst.«
    Sabrina hatte eine wütende Antwort auf den Lippen, sah dann aber an sich herunter und

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