Lilienzucht (German Edition)
unangenehm laut auf dem Bürgersteig. Dann hört sie ein leises Zischen und folgert, dass sie gerade durch eine automatische Tür gehen. Das nächste, was ihr mehr als deutlich ins Bewusstsein dringt, entlockt ihr ein verblüfftes, wenn auch kaum hörbares „Oh!“
Der Geruch hier ist so charakteristisch, dass sie augenblicklich weiß, dass sie sich in einem Frisörsalon befinden muss, ... und zwar einem der exklusiveren Sorte, dem Duft nach zu urteilen.
Trotz der vorübergehenden Blindheit fällt es Josie wie Schuppen von den Augen, warum Victor diese ‚Mission’ als heikel bezeichnet hat, weiß sie doch, wie pingelig manche ihrer Bekannten schon mit der Auswahl ihres Frisörs sind.
Josie fällt unwillkürlich ein riesiger Stein vom Herzen und sie atmet heimlich auf.
Victor steht inzwischen hinter ihr, um ihr aus der Jacke zu helfen und bekommt von alldem nichts mit. Unauffällig bringt er seine Lippen nah genug an ihr Ohr, um ihr wohlige Schauer durch den Körper zu schicken und flüstert ihr zu, dass sie jetzt noch einen Rückzieher machen könne.
„Vertraust du mir immer noch genug?“, fragt er so leise, dass nur sie es hören kann.
Josie braucht nicht mehr zu überlegen und haucht nur ein lächelndes „Ja“ zurück.
Einen – für Josies Empfinden viel zu langen – Augenblick lässt Victor sie nun allein mitten im Raum stehen, um Jacke und Handtasche zur Garderobe zu bringen.
Josie fühlt sich ein wenig unsicher und fehl am Platz ohne Victors sonst so deutlich spürbare Präsenz, doch sie versucht, es sich nicht anmerken zu lassen und wartet einfach mit einem etwas gezwungenen Lächeln auf seine Rückkehr, die auch nicht lange auf sich warten lässt. Als der Earl schließlich wieder ihre Hände nimmt und sie rückwärts gehend tiefer in den Salon führt, um sie dann behutsam auf einen der überraschend bequemen Stühle zu setzen, kann man ihr die Erleichterung quasi körperlich ansehen.
Victor schmunzelt heimlich in sich hinein.
Hinter ihr nähern sich Schritte und jemand räuspert sich leise.
„Einen wunderschönen Morgen, Lady Josephine.“ Die Stimme des Mannes klingt jung und angenehm ungezwungen; Josie sieht unwillkürlich das Gesicht eines etwas älteren männlichen Models vor sich und muss lächeln, als sie den Gruß erwidert.
„Mein Name ist Leon“, fährt er fort und legt freundlich seine Hände auf ihre Schultern, „ich und mein Team werden uns heute Vormittag um Sie kümmern. – Lord Croydon hat uns erzählt, dass Sie zwei wirklich harte Wochen hinter sich haben und dass es an der Zeit ist, ein wenig zu entspannen. – Also lehnen Sie sich zurück und lassen Sie uns einfach machen.“ Leise lachend beugt er sich zu ihr herunter und fügt in geradezu verschwörerischem Ton hinzu: „Keine Sorge, Mylady, wir haben so was schon öfter gemacht und die Damen sind anschließend alle wunderbar gelaunt, hochzufrieden und sehr entspannt nach Hause gegangen. – Und das, obwohl sie nicht annähernd so gut aussehend waren wie Sie.“
Josie murmelt ein verlegenes „Danke“ und errötet leicht.
Prüfend fährt der Coiffeur nun durch ihr schulterlanges Haar und lässt einzelne Strähnen sacht durch seine Finger gleiten, während Josie durch den Kopf geht, dass seine Berührungen zwar sehr angenehm sind, aber nicht annähernd eine solche Wirkung auf sie haben, wie das bei Victor jedes Mal der Fall ist.
Victor...
Sie ist sicher, dass er immer noch neben ihrem Stuhl steht und alles genauestens beobachtet; wenn sie angestrengt lauscht, kann sie sogar seinen ruhigen Atem hören.
Erst als der junge Mann ihr aus dem Stuhl hilft, um sie zum Haarwaschbecken zu führen, scheint wieder Bewegung in Victor zu kommen. Stumm begleitet er die Beiden und wartet, bis Josie sich gesetzt hat.
„Nun, ich sehe schon, ich bin hier vollkommen überflüssig.“, meint er schließlich lachend. „Keine Sorge, ich werde die Zeit schon totzuschlagen wissen. Ich hole dich später ab, meine Liebe.“ Weich haucht er ihr einen Kuss auf die Stirn.
Josie fühlt sich sichtbar unwohl und öffnet den Mund, um etwas zu sagen, schließt ihn jedoch gleich darauf wieder, ohne dass auch nur ein leiser Laut von ihren Lippen geperlt wäre.
„Bye, bis später.“, verabschiedet sich Victor, Josie antwortet mit einem etwas halbherzigen „Ja, bis später.“, dann hört sie auch schon, wie die Ladentür sich leise zischend öffnet und wieder schließt. Mit einem verhaltenem Seufzen, das irgendwie ein bisschen
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