Lilith Parker
wir hier nicht. Es ist sicher schmerzhaft für dich, dass du deine Freunde und deine Tante verlassen musst, oder nicht?«, fragte sie in gespielt mitleidigem Ton. »Wenn du Matt und Emma dann begegnest und sie dir erzählen, dass es eine Welt der Untoten gibt, ihr drei beste Freunde seid und du sie nur nicht mehr erkennst, weil Magier deine Erinnerung ausgelöschthaben, würdest du die beiden für komplett verrückt halten und sie eiskalt stehen lassen. Ach, diese Vorstellung ist wirklich tragisch.«
Lilith wollte Rebekkas Worte nicht an sich heranlassen, doch sie verfehlten trotzdem nicht ihr Ziel. Sie starrte mit tränengefüllten Augen zu Boden, unfähig, etwas auf Rebekkas Gemeinheiten zu antworten.
DrauÃen stieà eine Krähe ihren krächzenden Ruf aus und Lilith entging nicht, dass auch Rebekka unmerklich zusammenzuckte. Fast schon dankbar für die Ablenkung stand Lilith auf, trat ans Fenster und suchte die Umgebung ab, da sie sich wie immer vergewissern wollte, dass es nur eine normale Krähe und keine Malecorax gewesen war.
In diesem Moment erklang im Flur Stimmengemurmel und Imogen erschien mit einer jungen Frau, die sich wortreich von der Wahrsagerin verabschiedete und nicht damit aufhören konnte, ihr die Hand zu schütteln.
»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich ich darüber bin, dass es für mich und Kevin noch Hoffnung gibt.«
»Danken Sie nicht mir â es waren die Karten, die mir Ihre Zukunft verraten haben.«
Lilith zog skeptisch eine Augenbraue hoch. Sie wusste zwar noch nicht über alle Geheimnisse der Untotenwelt Bescheid, aber ihr Gefühl sagte ihr, dass ein Stapel Papierkarten noch weniger Auskunft über die Zukunft geben konnte als ein Salamibrot. Bei Letzterem konnte man wenigstens mit relativer Bestimmtheit voraussagen, dass es den Hunger stillte.
»Ich geh dann mal.« Rebekka schlüpfte in ihre Jacke undschien es plötzlich sehr eilig zu haben. »Ich will noch einige Einkäufe im Dorf erledigen.«
Sie drängte sich an Imogen vorbei zur Tür hinaus und überholte die Frau, noch bevor diese das Gartentor erreicht hatte.
Imogen strich den schwarzen Schleier, der ihr Gesicht bedeckt hatte, zurück und wandte sich Lilith zu. »Entschuldige bitte, dass ich dich habe warten lassen. Das war eine meiner Stammkundinnen, die dringend einen Rat benötigte.« Imogen führte sie in das schummrig beleuchtete Wahrsagerzimmer, in dem es gemütlich warm war und intensiv nach Weihrauch roch. Das Zentrum nahm ein runder Tisch ein, dessen Decke mit Monden und Sternen bestickt war und vor dem ein thronähnlicher Stuhl stand. Imogen wies Lilith den Platz gegenüber auf dem grünen Samtsessel zu. Als Lilith sich setzte, sank sie so tief ein, dass sie das Gefühl hatte, mit dem Hintern auf dem Boden zu sitzen, und sie konnte kaum über die Tischplatte sehen. Neben ihr schlug eine Kuckucksuhr zur vollen Stunde, doch anstatt eines Vogels kam ein Sensenmann in schwarzem Umhang und schwenkender Sense aus dem Häuschen geschossen und verkündete: »Die Zeit ist um! Die Zeit ist um!«
Lilith räusperte sich. »Ich habe mich bei Ihnen noch gar nicht für Ihre Rettung bedankt. Ohne Sie hätte ich den Unfall am Weiher wahrscheinlich nicht überlebt und wäre im eisigen Wasser ertrunken.«
»Das war doch selbstverständlich«, wiegelte Imogen ab. »Jeder hätte so gehandelt. Als du in das Eis eingebrochen bist, habe ich keinen Moment gezögert.«
Sie lieà sich schwerfällig auf ihren Stuhl fallen. »Damit kommen wir schon zur ersten Lektion: Kehre niemals an einen Ort zurück, an dem dich eine intensive Todesvision ereilt hat, vor allen Dingen nicht nachts, wenn deine Kräfte verstärkt sind. Die Vision könnte dich erneut überwältigen, und zwar noch stärker als beim ersten Mal.«
»Gut, ich werde mich in Zukunft vom Weiher fernhalten.« Sofern sie nach morgen Abend überhaupt noch Gelegenheit dazu hatte, in seine Nähe zu kommen. Lilith fragte sich, ob es nicht doch besser gewesen wäre, den Unterricht zu schwänzen. Das alles kam ihr so sinnlos vor.
Imogen beugte sich interessiert vor. »Manche Banshee besitzen die Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen oder haben Vorahnungen von bevorstehenden Todesfällen. Konntest du so etwas bei dir feststellen?«
Lilith wusste, dass ihre Mutter aufgrund einer solchen Vorahnung
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