Lilith - Wunschlos gluecklich
rief sie den Treppenaufgang hinunter und krallte sich am Geländer fest. Nach zwei Tagen, in denen sie lediglich das Bett gehütet hatte, fühlte sie sich kraftlos und ihre Stimme klang krächzend, immer noch nicht wie die ihre. Kein Wunder, ihre Stimmbänder hatten schon seit geraumer Zeit fast keine Silbe mehr erzeugen müssen. Sie waren eingerostet, genau wie der Rest ihres Körpers.
»Das Essen ist fertig, mein Schatz. Ich dachte, du könntest heute Mittag eventuell wieder etwas außerhalb des Bettes zu dir nehmen und mich dabei vielleicht sogar ein wenig mit deiner Anwesenheit beehren. Außerdem hast du Post. Im Briefkasten lag ein Brief mit deinem Namen darauf.«
Sofort kam Leben in ihren Körper. Post? Sie bekam nie Post. Nicht wirklich, zumindest keine aus echtem Papier. Die einzige Post, die sie bekam, waren E-Mails. »Post?«, wiederholte sie und war überrascht, wie samtig der Klang ihrer Stimme ertönte.
»Ich hab ihn auf deinen Platz gelegt«, versuchte Mom, sie nach unten zu locken, und sie wussten beide, dass sie damit Erfolg haben würde. Liliths Fuß stand schon auf der ersten Stufe. »Nicht im Nachthemd, Liebes.«
Woher wusste sie …? Ach Mist. Sie war ihre Mutter, sie kannte sie einfach zu gut. Lilith sprintete in ihr Zimmer, pfefferte das verschwitzte Nachthemd in die Ecke, sprang unter die Dusche und zog sich danach ihr Lieblingslümmeloutfit an, das aus einer grau melierten Jogginghose und einem pinkfarbenen Hello-Kitty - Shirt bestand.
In der Küche duftete es nach einer ihrer Lieblingsspeisen. Makkaroni mit Käse. Liliths Magen grummelte fordernd und rebellierend vor sich hin. Abrupt zog er sich jedoch krampfend zusammen und ihr verging schlagartig der Appetit. Auf ihrem Platz neben dem noch leeren Teller lag er – der Brief. Auf der Vorderseite prangte in einer schönen, weiblich geschwungenen Schrift ihr Name. Enttäuschung machte sich breit und gleich darauf Wut. Wut auf sich. Wie kam sie nur dazu, sich zu wünschen, dass Luc ihr diesen Brief geschrieben hatte? Wieso wollte sie, dass er ihren Wunsch, sie in Ruhe zu lassen, ignorierte?
»Willst du ihn denn nicht öffnen?«, erkundigte sich Mom und schaufelte Lilith eine große Portion Makkaroni auf den Teller. Der Käse zog lange Fäden, die von Liliths Teller bis hinauf zu der Kelle reichten.
»Später … vielleicht …«, murmelte sie und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie enttäuscht sie war.
Beide aßen in stillschweigendem Einvernehmen und Lilith war Mom dankbar dafür. So konnte sie ungehindert ihren Gedanken nachhängen. Gedanken, die sie nun schon Tage verdrängt hatte.
Sie vermisste diesen nervigen Typen. Er berührte etwas in ihr und sie konnte nicht begreifen, wie ihm dies gelungen war. Je mehr Lilith versucht hatte, sich dagegen zu wehren, desto öfter schlich er sich in ihren Kopf. Seine grünen Augen waren einfach magisch und hatten sie vergangene Nacht sogar bis in ihre Träume verfolgt. Nun hatte sie doch tatsächlich gehofft, dass dieser Brief von ihm hätte sein können. Wie dumm sie doch war.
Nach dem Essen half sie Mom noch in der Küche. Sie hatte es nicht mehr eilig, den Inhalt des Briefes zu erfahren. Solange sie ihn ungeöffnet ließ, glimmte immer noch ein winzig kleines Stück Hoffnung in ihrem Inneren, dass er vielleicht doch von Luc stammen könnte. Und je länger sie wartete, desto mehr wärmte sie dieses Glimmen. Aber es war kein wirklich beruhigendes Feuer, das in ihr loderte. Es war ein Scheiterhaufen und dieser würde sie gnadenlos einäschern, sobald sie den Auslöser öffnete.
Die Arbeit in der Küche war anders als sonst viel zu schnell erledigt und so fand sie sich mit einem Mal im Schneidersitz auf ihrem Bett wieder. Der Brief lag zu ihren Füßen und sie betrachtete ausgiebig die verschnörkelte Schrift auf dem Umschlag. Seufzend fuhr sie mit dem Finger unter der Klebefläche entlang und riss ihn auf. Sie hielt den Atem an, als sie zwei Zettel daraus hervorzog. Ihr Herz setzte aus. Das erste Papierstück war kein handbeschriebener Zettel. Es war ein Scheck über zweihundert Dollar. Ausgestellt von Tom, dem Besitzer des Cadillacs.
Sie begriff. Es war das Preisgeld für den Gewinner des Karaokewettbewerbs. Sie griff nach dem anderen, noch zusammengefalteten Stück Papier und hoffte, darin eine Erklärung zu finden. Sie fand mehr, als ihr lieb war, alles, worauf sie gehofft hatte, und nichts, dem sie sich stellen wollte. Ihre Augen blieben wie gebannt auf der Unterschrift
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