Liliths Hexenhöhle
es so etwas nicht geben.«
Sie hatte mit einer Selbstsicherheit gesprochen, die Sheila Conolly schon erschreckte. Somit wurde sie wieder daran erinnert, dass Corinna zwar aussah wie ein Mensch und irgendwie auch einer war, aber zugleich auch eine Hexe war und keine Seele mehr hatte.
Ihr fehlten die Gefühle. Ihr fehlte eigentlich genau das, was einen Menschen ausmacht. Deshalb würde sie auch nicht so reagieren wie eine normale Frau. Sheila fragte sich, ob sie Corinna überhaupt mit einer Waffe schrecken konnte.
»Was willst du denn, Sheila? Willst du mich erschießen?«
»Wenn es sein muss, schon.«
»Ach.« Die Heller verdrehte die Augen und zeigte ein spöttisches Lächeln. »Bitte, mach dich doch nicht lächerlich. Was interessiert mich schon eine Kugel? Oder hast du vergessen, wer ich bin? Hast du das wirklich?«
»Diese Waffe ist mit geweihten Silberkugeln geladen, Corinna. Ich sage dir das nur, damit du dich darauf einrichten kannst.«
»Ich weiß es. Ich kenne euch doch. Ich kenne euch verdammten Conollys. Man hat mir alles gesagt. Keine Sorge, ich habe mich darauf eingestellt. Ich fühle mich nicht mehr als Mensch. Ich bin mehr. Ich bin eine Stufe höher, eine Hexe, verstehst du?«
Klar, Sheila hatte verstanden, aber sie verspürte keine Lust, mit dieser Unperson darüber zu streiten, ob es ein Vor- oder Nachteil war, eine Hexe zu sein.
»Eine allerletzte Warnung, Corinna. Verlasse mein Haus! Flüchte. Lass dich nie mehr blicken!«
»Du hast alles vergessen, Sheila. Du hast...«
Und da passierte es. So überraschend, dass es Sheila nicht mehr gelang, abzudrücken. Innerhalb einer Sekunde bewies Corinna, wozu sie fähig war.
Plötzlich war der Tunnel entstanden. Dieses starre Gebilde aus Licht, das einen Balken quer durch den Raum schickte und auch Sheila Conolly erwischte, als wäre sie von ihm durchbohrt worden...
***
Die Vorteile in dieser verdammten Welt, in der Lilith das Zepter schwang, lagen nicht bei mir, sondern auf der anderen Seite. Ich war nur ein Statist, der kaum in die Handlung eingreifen konnte, und ich war zugleich das Opfer.
Die Hexen hatten den Befehl erhalten, sie würden ihn bis zu meinem bitteren Ende ausführen. Sie stürmten zwar heran und verringerten die Distanz zu mir, doch es kam mir so vor, als hätten sie sich in eine Woge verwandelt, die aus Körpern bestand, und nun, getrieben von einer mächtigen Bö, auf mich zuschwappten.
Mich ihnen entgegenwerfen konnte ich nicht. Es wäre sinnlos gewesen. Ich musste mir etwas anderes innerhalb einer winzigen Zeitspanne einfallen lassen, und ich musste dabei etwas tun, was für alle völlig überraschend war.
Für derartige Aktionen war ich schon immer zu haben gewesen. Das hatte sich auch jetzt nicht geändert. Was immer sie gedacht und angenommen hatten, ich tat es nicht. Auf der Stelle drehte ich mich um und sah Lilith auf ihrem verdammten Thron jetzt vor mir. Sie hatte sich leicht nach vorn gebeugt, damit sie nur nichts verpasste.
Allerdings waren die Dinge nicht so gelaufen, wie sie es sich vorgestellt hatte. Weit riss sie ihre Augen auf, als sie mich plötzlich vor sich sah. Selbst eine Ur-Dämonin konnte sich erschrecken, und dann war ich über ihr.
Ich packte sie und wusste, dass alles blitzschnell über die Bühne gehen musste. Mit großer Wucht riss ich sie von ihrem Thron in die Höhe, und auch jetzt leistete sie mir keinen Widerstand.
Ich drehte sie herum, sodass sie plötzlich einen Schutzschild vor meinem Körper bildete, und dann ließ ich mich nach hinten auf den Thron der Lilith fallen. Sie selbst hatte ich fest im Griff. Mit der linken Hand umschlang ich ihren Hals. In der rechten hielt ich mein Kreuz, das trotz allem meine große Hoffnung war. Dann tat ich etwas, womit Lilith auch nicht gerechnet hatte. Ich rammte es ihr mit der Unterseite in den Mund, sodass es zwischen ihren Zähnen stecken blieb.
Ich hatte mich so schnell wie möglich bewegt. Die Hexen mussten es gesehen haben, und sie waren dann so durcheinander, dass sie nicht mehr weiterliefen.
Ich hockte auf dem Thron, und Lilith saß nicht ganz freiwillig auf meinem Schoß.
Es war ein Bild für alle finsteren Götter. Eine Szene, wie ich sie mir niemals in meinen Träumen ausgemalt hätte. An so etwas war überhaupt nicht zu denken gewesen.
Lilith, die erste Hure des Himmels, saß auf den Beinen eines Geisterjägers.
Das Kreuz hielt ich fest. Ich dachte nicht daran, es aus ihrem Mund zu ziehen. Ein schweres Stück Metall, das keinen Glanz
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