Liliths Kinder
Gedanken fort. Im Moment war sie nur daran interessiert, weshalb Pomona sich hier herumtrieb. Daß sie darauf geachtet hatte, nicht entdeckt zu werden, war offensichtlich gewesen. Zudem hatte sie auf Kleidung weitgehend verzichtet, wohl, um sich rasch und ungehindert bewegen zu können; lediglich ein lederner Schurz verhüllte ihre Scham.
Lilith vermutete einen ganz bestimmten Grund hinter dem Verhalten ihrer Tochter - einen Grund, der ihr ganz und gar nicht gefallen mochte.
»Sprich endlich!« verlangte sie barsch.
Pomona schwieg. Ihre makellosen Züge waren kalt und starr wie die einer Statue. Nur in ihren Augen brannte ein Feuer, dessen bloßes Vorhandensein verriet, daß die Vampirin sich innerlich in Aufruhr befand und Mühe hatte, ihre Fasson zu bewahren.
»Hast du den Palast verlassen, um dich meinem Verbot zu widersetzen?« fragte Lilith. Scharf sah sie Pomona ins Gesicht, und das Feuer in Liliths Augen war von anderer Art - es kündete von der Wut, die der bloße Gedanke in ihr schürte, Pomona könnte auf Blutjagd sein.
»Nein.« Die Stimme der Vampirin klang fast tonlos, doch Lilith hörte - vielleicht mit dem Gespür einer Mutter - etwas heraus: Verbitterung. Oder - Trauer?
»Dann nenne mir den Grund«, forderte Lilith die andere auf, weniger hart als zuvor. Pomona tat es; ein Wort sagte sie nur, aber sie schien zu meinen, damit alles gesagt zu haben, was von Bedeutung war.
»Zapata.«
Lilith verstand nicht recht. Natürlich wußte sie, daß Zapata verschwunden war, und Chiquel hatte ihr erzählt, daß er und seine Geschwister den Tod des Bruders am eigenen Leibe nachempfunden hatten.
Allerdings war Lilith noch nicht dazu gekommen, der Sache nachzugehen. Andere Dinge waren ihr wichtiger gewesen. Insgeheim -und fast schämte Lilith sich dessen - war sie nicht einmal wirklich betroffen gewesen vom Tod ihres Sohnes.
»Zapata?« echote sie schließlich. »Was hat dein Hiersein mit ihm zu tun?«
Einen Moment lang überlegte Pomona sichtlich, ob sie Lilith die Wahrheit - oder überhaupt irgend etwas - sagen sollte. Nicht Vernunft, sondern bloße Emotion schien sie schließlich dazu zu bewegen. Ihre Stimme klang heiser, war rauh von Haß und Trauer - und Rachsucht!
»Ich will endlich wissen, wie er zu Tode gekommen ist - welche Macht groß genug ist, einem der unseren die Unsterblichkeit zu nehmen! Und -« Pomona hielt inne, als hätte sie schon zuviel gesagt.
»Und?« forderte Lilith sie auf, weiterzureden. »Was dann?«
Pomona sog den Atem tief ein. Ihre Gestalt straffte sich unter mobilisierter Kraft. Erst dann antwortete sie, leise und fast schon in gleichgültigem Ton: »Dann werde ich dafür Sorge tragen, daß sich ein solcher Fall nicht wiederholen kann. Ich werde der Gefahr, die uns droht, begegnen - und ich werde sie ausmerzen.«
Abwartend sah sie Lilith entgegen, rechnete damit, daß diese ihr Vorhaben verbieten würde. Pomona wußte, wozu Lilith fähig war. Ihr wohnte eine gewaltige Macht inne. Dem Hohen Vater der Maya-Vampire gegenüber hatte Lilith sie einmal eingesetzt - und Landru damit beinahe umgebracht .
Pomona war nicht erpicht darauf, daß Lilith diese Kraft an ihr er -probte. Dennoch würde sie sich von ihrem Weg nicht abbringen lassen - sie würde Zapata rächen! Und nur der Tod konnte sie daran hindern. Denn Zapata, Bruder und Liebhaber in ungezählten Nächten, fehlte ihr so sehr, daß es ihr vorkam, als habe man ihr das Herz aus der Brust gerissen. Wer immer für diesen nie vergehenden Schmerz verantwortlich war - er würde mit seinem Leben dafür be-zahlen!
»Warum überläßt du es nicht mir, Zapatas Tod aufzuklären?« versuchte Lilith einzulenken.
Pomona lachte abfällig. »Weil du keinen Beweggrund dazu hast, der meinem auch nur gleichkäme.«
»Du willst Tod mit Tod vergelten«, sagte Lilith. »Das kann ich nicht gutheißen.«
»Dann hindere mich daran, es zu tun.«
Lilith wollte zu einer Erwiderung ansetzen, als Pomona rasch einen Schritt von ihr abwich. Noch in der Bewegung verwandelte sie sich, und in der nächsten Sekunde stieg sie als Fledermaus in die Nacht auf. Flinke, kraftvolle Flügelschläge trugen sie ins Dunkel, und schon war sie selbst Liliths nachtsichtigem Blick entschwunden.
Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, die Verfolgung aufzunehmen. Schon wollte sie ihrerseits den Impuls auslösen, der die Transformation einleitete, dann ließ es doch bleiben. Pomonas Ortskenntnis würde ihr zum Vorteil gereichen; Lilith würde sie kaum
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