Liliths Kinder
Tropfen!
»Was -?« entfuhr es Lilith. Die Überraschung ließ sie aufspringen, so heftig, daß der Hocker unter ihr wegkippte.
Copan lächelte, nicht länger dünn und fein, sondern so, daß seine Lippen sich hoben und den Blick freigaben auf seine Zähne - - die spitzen Eckzähne eines Vampirs?
Unmöglich! durchfuhr es Lilith siedendheiß und frostkalt in einem.
»Was bist du?« fragte sie keuchend. »Was ist mit dir geschehen?«
»Ich durfte das erbärmliche Leben eines Menschen abstreifen«, erwiderte der Alte triumphierend. »Endlich weiß ich, was Leben wirklich sein kann!«
»Was haben sie mit dir getan?« stieß Lilith hervor, sich von dem Schock allmählich erholend. Sie hatte keinen Zweifel, wer Copan solcherart »verändert« hatte.
»Elende Brut«, zischte sie, so voller Haß, daß es sie selbst fast ängstigte.
Durfte eine Mutter so über ihre Kinder reden, ganz gleich, was sie getan hatten? fragte sie sich erschrocken. Und durfte sie ihre Kinder wirklich -hassen?
Ja! schrie es zur Antwort in ihr. Und ich werde noch ganz anderes tun - wenn ich diese Sache hier erst geklärt habe!
Sie hatte den zornigen Gedanken noch nicht vollendet, da langte sie schon nach dem Tisch, der sie von Copan trennte, und warf ihn kurzerhand zur Seite. Noch in derselben Bewegung stürzte sie sich dem Alten entgegen - - aber sie erreichte ihn nie.
Woher der Alte das schlichte, kaum unterarmlange Bambusrohr auf einmal genommen hatte, wußte sie nicht. Er preßte das hintere Ende an seine Lippen. Ganz kurz blähten sich die faltigen Wangen des Alten, und im gleichen Moment schoß ein winziges Etwas aus der vorderen Öffnung des Rohres.
Und bohrte sich in Liliths Hals!
Fast teilnahmslos registrierte sie, daß es kaum wehtat.
Copans Gesicht zerfloß vor ihren Augen - und mit ihm alles andere. Der Alte, das Mobiliar und selbst die Wände der Hütte schienen plötzlich von ihr abzurücken, immer weiter fort.
Nur der Lehmboden kam näher und immer näher. Bis er Liliths Blick zur Gänze einnahm.
Daß sie hart mit dem Gesicht darauf aufschlug, bekam sie schon nicht mehr mit.
*
»Dieser elende Idiot ...!«
Cuyo ballte wütend die Fäuste, so fest, daß die Fingergelenke unter der wächsernen Haut vernehmlich knackten, als würde der Vampir sich die Handknochen zermalmen.
Über die fremde Sicht hatte er beobachten können, was in Copans Hütte vorgegangen war - indem er durch die Augen des Alten gesehen hatte.
Ihr entarteter Keim eröffnete den Maya-Vampiren diese Möglichkeit: Hatten sie einen Menschen erst einmal initiiert, konnten sie jederzeit dessen Augen nutzen, als wären es ihre eigenen. Es war ihr »Fenster ins Volk« - die vollkommene Überwachung der Menschen.
Nun, nachdem Cuyo mitangesehen hatte, wie Lilith in Copans Hütte zu Boden gegangen war, kehrte sein Blick aus der Ferne zurück. Seine eben noch glanzlos und wie tot wirkenden Augen füllten sich mit vertrautem Schimmer, als er zu seinen Geschwistern hin-sah.
»Was ist geschehen?« wollte Tumul wissen, vage beunruhigt durch den Fluch seines Bruders. Er selbst und seine Schwestern hatten das Geschehen draußen nicht mitverfolgen können, weil es stets nur einem von ihnen möglich war, durch die Augen eines bestimmten Menschen zu sehen.
»Der alte Narr hat sich ihr offenbart, bevor er ihr das Gift verabreicht hat«, knurrte Cuyo ungehalten.
»Ändert das etwas an unseren Plänen?« fragte Oriente. Fast meinten die anderen, eine leise Hoffnung in ihrem Ton zu hören. Oriente konnte kaum verhehlen, daß sie der Sache noch immer zweifelnd gegenüberstand.
»Nein«, erwiderte Cuyo knapp. »Wir gehen vor wie besprochen.« Er wollte sich umdrehen, um das unterirdische Gewölbe zu verlassen. Petens Stimme hielt ihn zurück.
»Warum gehen wir nicht einfach hin und nehmen ihr jetzt das Leben, da sie wehrlos ist?«
Cuyo lachte häßlich.
»Hast du vergessen, über welche Macht unsere Mutter verfügt?« gab er zurück. Ohne es ausdrücklich zu erwähnen, erinnerte er an die Auseinandersetzung zwischen Lilith und Landru, in deren Verlauf sie zum Monstrum mutiert war.
»Glaubt mir«, fuhr Cuyo fort, und sein Ton duldete keinen Widerspruch, »wir müssen den Umweg gehen, wenn wir ans Ziel kommen wollen. Möglich, daß ihre gewaltige Kraft noch in der Ohnmacht zu wirken vermag und sich gegen uns richtet, wenn wir ihr auch nur nahe kommen.« Der Älteste sah in die Runde, suchte in den Mienen seiner Geschwister nach Bestätigung und nickte schließ -lich
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