Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
müssen. Der einstöckige, klassizistische Kasten, der einst als königliches Landhaus fungiert hatte und damals wie heute eine Art i-Punkt bildete, diente jetzt einer Sammlung ausgestopfter oder nachgebildeter Tiere – einem Kabinett der Naturalien. In den hohen Schaukästen ruhte eine mumifizierte Wildnis, erstarrt in alltäglichen Handlungen des Lebens, beim Fliegen oder Fressen oder Lauern, gefangen in einer ewigen Gebärde. Nicht zu vergessen, daß sich unter den Schaustücken auch das Präparat eines Riesenalks und das Skelett einer Dronte befanden. Woraus sich eine nette, wenn auch mit Sicherheit unbeabsichtigte Geste der Angreifer ergab: Stransky an einem solchen Ort töten zu wollen. Wenn schon nicht inmitten lebender Dronten, so wenigstens in der Umgebung einer toten Dronte. Dem Rest einer toten Dronte.
Noch aber liefen die drei Personen den Hügel aufwärts, zu Recht in Eile. Mehrere Schüsse kündigten die Verfolger an. Einige Spaziergänger – Rentner, die meinten, sich vor nichts mehr fürchten zu müssen – blieben stehen und sahen zu. Ohne sich zu rühren. Außenposten des Naturkundemuseums.
Als man sich bereits in der Nähe des Gebäudes befand, bekam Hübner endlich jemand ans Telefon, der sich für zuständig erklärte. Aber man glaubte Hübner nicht. Die Person am anderen Ende der Leitung meinte: »Wie heißen Sie? Hübner? Ich kenne keinen Hübner.«
»Holen Sie mir Rosenblüt ans Telefon!« schrie Hübner.
»Der Herr Hauptkommissar …«
»Ich bin selbst Hauptkommissar, Sie Mondkalb! Rosenblüt wird Ihnen den Kopf abreißen.«
Der Beamte schien nun doch ein wenig beeindruckt. Er sagte: »Ich verbinde Sie.«
Vorbei an einem kleinen Brunnenbassin, das gleich einem guten Omen von Rosenstöcken umgeben war, somit die gerade entstehende Verbindung von Rosenstein und Rosenblüt optisch aufrundend, bog man auf die Vorderseite der Anlage, wo eine Freitreppe unter ein Säulenportal führte. Es war jetzt Stransky, der keine Sekunde zögerte und hinauf zum Eingang des Museums lief. Steinbeck und Hübner folgten ihm unsicher, Hübner weiterhin mit einem Ohr am Handy, aus dem pures Rauschen drang.
»Da drinnen sitzen wir in der Falle«, meinte Hübner.
»Es gibt auch gute Fallen«, erwiderte Steinbeck, an Saint Paul denkend, als sie mit Stransky in eine französische Weltraumkapsel geflüchtet war.
Hübner sah hinüber auf die weite Fläche der Parklandschaft. Kaum Möglichkeiten, sich zu verschanzen. »Also gut, ins Museum.«
Währenddessen rüttelte Stransky an der Türe. »Hier ist zu.«
Nun, die Türe war alles andere als eine Sicherheitstüre. Ein Tritt genügte, ein Tritt, den Steinbeck vornahm. Dünnes Glas splitterte und dünnes Holz brach. Schon befanden sich die drei im Inneren. Von einem kleinen Vorraum gelangten sie in einen weiten Kuppelsaal, wo es rechts und links in die Ausstellungsräume ging.
»Zum Dschungel«, schlug Stransky vor. Steinbeck und Hübner folgten ihm, ohne daß Zeit gewesen wäre, sich nach der Art des Dschungels zu erkundigen.
Es muß nun erwähnt werden, daß an diesem Vormittag das Museum aus gutem Grund geschlossen hatte. Viele der Schaukästen standen offen. Die hohen Scheiben ragten in die Räume. Auch sah man Eimer mit Wasser, dazu Putzmittel, Schwämme und Wischer, nirgends aber Leute, welche die offenkundig vorzunehmende Reinigung der Vitrinengläser auch vornahmen. Möglicherweise befand sich der Trupp in einer jener berühmtberüchtigten vormittäglichen Pausen, die unter Begriffen wie Vesper oder Brotzeit oder zweites Frühstück eine beinah märchenartige Existenz führen. Im Gegensatz zu den offiziellen Mittagspausen scheinen die tätigen Menschen in solchen Momenten wie vom Erdboden verschluckt. Ganze Ämter leeren sich, in Krankenstationen wird das Feld vollends den Patienten überlassen, in Büchereien regieren nur noch Bücher, in Supermärkten verwaisen Kassen, von Baustellen ganz zu schweigen. Man könnte dann Chefetagen in die Luft sprengen und würde niemanden treffen. Die Vormittagspause ist ein Mysterium. Keiner kann sagen, wohin die Leute sich verziehen mit ihren Brötchen und Würstchen und Essiggürkchen und fettarmen Joghurts.
In der gegebenen Situation freilich war es ein Glück. Man brauchte nicht erst unschuldige Zivilisten wegzuscheuchen. Auch hatte Hübner endlich den Kollegen Rosenblüt am Telefon, den er von früher kannte. Einfach nur die Polizei zu alarmieren genügte eben nicht. Hübner benötigte echte Hilfe, nicht ein
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