Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
eine Bedeutung hat.«
»Sehr gut. Ich lasse mich sowieso ungern belehren«, sagte Steinbeck und bestimmte, daß zunächst einmal die Identität des Geschäftsmannes am Programm stehe.
»Wir wissen wenig über ihn«, stellte der Detektiv fest. »Nein, wir wissen nichts über ihn.«
Steinbeck entgegnete: »Wir kennen den Namen des Restaurants, in das er Stransky eingeladen hat.«
»Das Blue Lion ist nicht gerade billig.«
»Ich bin nicht hier, um Geld zu sparen«, erklärte Steinbeck.
»Na gut. Aber was glauben Sie, dort zu finden?«
»Ich weiß nicht, aber manchmal genügt es, geduldig an einer Bar zu stehen. Wenn es die richtige Bar ist. Der Rest ergibt sich.«
»Wie Sie meinen. Dann machen wir das so«, sagte Kallimachos. »Ich schlage vor, neun Uhr. Ich erwarte Sie vor dem Eingang.«
»Neun Uhr, mein Gott, da wollte ich eigentlich im Bett sein.«
»Vorher wäre es sinnlos. Hier ist nicht Mannheim, sondern Athen«, erinnerte Kallimachos, der es ja wissen mußte. Er erhob sich in der Manier eines durch magische Kräfte ruckweise nach oben schwebenden Felsblocks, griff nach seinem Wägelchen und schob sich dampfend und schnaubend zurück zu seiner Wohnung. Steinbeck sah ihm nach und schüttelte den Kopf. Und zwar über sich selbst. Wie konnte sie sich auf so jemand nur einlassen? Verrückt!
Sie war nun allein. Man hätte ihr jederzeit eine Kugel in den Kopf jagen können. Allerdings war sie überzeugt, daß es nicht darum ging, sie einfach nur aus dem Verkehr zu ziehen. Hier wurde gespielt. Das sagte ihr ihr Instinkt, auf den sie mitunter hörte. (Der Instinkt ist ein guter Freund, der manchmal recht hat, manchmal nicht, es aber immer gut meint.)
Sie bestellte einen Ouzo. Sie war auf den Geschmack gekommen. Auf den Geschmack von verunreinigtem Alkohol, auch wenn der Ouzo, der hier serviert wurde, bei weitem nicht an jenen aus Samos heranreichte. Aber das war okay. Man konnte nicht immer nur Feines bekommen. Nicht in einem Leben, in dem alles mit rechten Dingen zuging.
Während sie ein zweites Glas orderte, griff sie nach ihrem Handy und rief Baby Hübner an. Ihr Vorgesetzter war bereits unterrichtet. Er fragte, was sie sich eigentlich denke.
»Ich denke, ich muß da durch.«
»Wo müssen Sie durch?«
»Durch die Unannehmlichkeiten des Falles. Wozu gehört, nun nicht mehr als offiziell tätige Beamtin zu operieren, sondern als Zivilistin.«
»Zivilisten operieren nicht«, erklärte Baby Hübner.
»Auch im Urlaub gibt es keinen Urlaub«, erwiderte Steinbeck.
»Ich glaube nicht, daß ich Sie verstehe, Kollegin.«
»Das ist ja auch nicht nötig, oder?«
Baby Hübner haßte solche Gespräche. Weshalb er schnell seinen Segen gab und abschließend darum bat, Steinbeck möge sich am Riemen reißen. Schlimm genug, daß er ihren Urlaubsantritt akzeptiere, könne er unmöglich erlauben, daß sie der griechischen Polizei in die Quere komme.
»Verlassen Sie sich auf mich«, beendete Steinbeck das Gespräch, so wie Soldaten immer sagen: Zu Weihnachten bin ich wieder zu Hause.
Steinbeck verbrachte den Nachmittag im Archäologischen Nationalmuseum. Einen Teil der Zeit verschlief sie im Angesicht einer auf Bronze und menschliche Muskulatur reduzierten Gottheit. Es war ein guter, zweistündiger Schlaf, den sie mit aufrechtem Oberkörper und übereinandergeschlagenen Beinen absolvierte, ohne daß jemand sie störte. Auf den Betrachter wirkte sie nicht als Schlafende, sondern als Nachdenkende. Danach fühlte sie sich ein wenig erhitzt. Wahrscheinlich hatte sie geträumt. Und das war gut so. Träumen war wie Schwitzen. Nicht immer angenehm, aber der einzig richtige Weg.
Nach dem Museum spazierte sie durch die Stadt und trat schließlich in eine dieser todschicken Boutiquen, bei denen es sich wahrscheinlich um gestrandete Raumschiffe handelt. Was in der Regel auch für die Verkäuferinnen gilt: Aliens, mitunter höfliche Aliens, aber überheblich.
Steinbeck verbrachte eine gute Stunde in dem Laden. In dieser Hinsicht war sie schon eine ziemlich typische Frau. Es machte ihr auch gar nichts aus, daß sie dabei von einer kleinen Asiatin mit spitzer Nase und aufgemalten Sommersprossen begleitet wurde, die sich bemühte, eine jede Ware ausführlich zu beschreiben. Als wäre Steinbeck blind. Als suggeriere eine verunfallte Nase ein geschwächtes Augenlicht. Jedenfalls erstand Lilli Steinbeck am Ende dieser Stunde, dieser schönen Stunde in gekühlter Luft, ein geradezu phantastisches Kleid, das um die Taille und den
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