Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
Vartalo sich höchstwahrscheinlich hinbewegten, Richtung Mauritius. Das war freilich ein langer Weg. Andererseits, auf einer Weltkarte betrachtet, lag Mauritius praktisch um die Ecke. Um die Ecke von Somalia.
Lilli Steinbeck riß recht umstandslos die beschriebene Seite aus dem Buch heraus und verstaute sie in ihrer Handtasche. Das Buch klappte sie zu und nahm es mit sich, aber nur, um es sicherheitshalber in einer verrosteten Tonne zu entsorgen. Weil die Tonne aber vollkommen leer war, warf sie das Ding in einen Straßengraben, zu anderem Müll hin. Dort würde es niemand auffallen und praktisch ins Erdreich eingehen. Ohnehin bloß ein Buch, dem eine Seite fehlte. Aber Steinbeck war nun mal vorsichtig.
Sie wartete auf der Straße, stellte sich neben den Hubschrauber hin. Frau und Maschine. Ein paar Jungs standen um sie herum, kicherten. Zwei alte Männer, wie aus einer arabischen Muppetshow, stierten sie grimmig an. Kein Wunder, hier existierte kein Fremdenverkehr und somit auch kein Grund, darauf zu verzichten, grimmig dreinzusehen, wenn einem nach Grimmigkeit zumute war. Steinbeck hielt das schon aus. Sie kannte Schlimmeres als grimmige Greise.
»Haben Sie was gefunden?« fragte Kallimachos, als er mit dem Piloten aus der kleinen Teestube kam.
»Fliegen wir nach Aden«, gab Steinbeck zur Antwort.
»Ist das ein guter Ort, um sich zu verstecken?«
»Nein, aber um in See zu stechen.«
»Wer will in See stechen?«
»Ich denke, daß Stransky und Vartalo das vorhaben. Wenn sie so weit kommen.«
»Um wo hin zu gelangen?«
»Mauritius.«
»Woher wollen Sie das wissen?« fragte Kallimachos.
»Wegen der Dronten, die dort früher lebten.«
»Ach so!« meinte Kallimachos. Er gehörte nicht zu den Leuten, die ewig nachfragten. Er gehörte nicht zu den Leuten, die alles verstehen mußten. Es reichte ihm, zu verstehen, wenn es dafür an der Zeit war. Offensichtlich war es aber nicht an der Zeit. Er spuckte seine Zigarette aus und schleppte sich demütig auf den knalligen Helikopter zu, der über einen halbwegs komfortablen Einstieg verfügte. Einen Einstieg für Zivilisten.
Wenig später schraubte sich das Vehikel in die Höhe. Man konnte meinen, die Himmelfahrt einer etwas ordinären, aber gutgelaunten Lady sei im Gange. Einer Lady in Pink.
10
Finger
Es war eine wirklich schöne Segelyacht, sehr schnittig, wie aus einem Guß, ein hochmodernes Glasfaserobjekt, gewissermaßen das Gegenstück zu einem dieser chinesischen Restaurants in der Art stromlinienförmiger Designertoiletten. Vielleicht fünfundzwanzig Meter lang, explizit weiß, totweiß, mit einem durchgehend hellblauen Streifen und einer überdachenden Verschalung, die nicht höher schien, als sie unbedingt sein mußte. Das war eindeutig ein schnelles Boot, eins von denen, wie man sie aus dem Fernsehen kannte, wenn wieder einmal dieser America’s Cup abgehalten wurde, eine Veranstaltung, die ein normaler Mensch nur schwer begriff. Der gigantische Aufwand, der da betrieben wurde, der enorme Ruhm, der mit dem bißchen Segelei zu ernten war, das viele Geld sowieso. Ähnlich wie die Auswirkungen eines professionellen Golfspiels. Diese Leute waren Könner, keine Frage. Doch ihre Profession war eine ausgesprochen intime und auch via Bildschirm schwer nachvollziehbare. Was konnte man schon sehen, wenn ein winziger Ball durch die Luft flog oder ein Boot ewig lange über ziemlich verwandt wirkende Wellen dahinglitt? All diese Männer, die quasi Vollzeit-Freizeitler waren, betrieben golfend und segelnd und kricketierend eine fast sektiererische, jedenfalls ungemein elitäre Sache, waren aber nichtsdestotrotz Medienhelden. Der sogenannte kleine Mann, der Mann von der Straße, konnte kaum sagen, wieso das eigentlich so war. Fußball ja, aber Segeln …?
Nun, Georg Stransky ging hin und wieder zum Segeln, ohne aber eine wirkliche Leidenschaft dafür entwickelt zu haben. Immerhin kannte er sich aus. Darum meinte er auch: »Tolles Boot.«
Und Vartalo fand: »Genau das richtige, um nach Mauritius zu kommen.«
Die beiden saßen in einer kleinen Hafenkneipe, der man ansah, daß der Südjemen einmal kommunistisch gewesen war. Und daß alles Kommunistische sich heutzutage durch ein Abblättern ausdrückte.
Vartalo und Stransky schauten hinüber auf den Steg, an dem ein paar Boote festgemacht waren. Es war erstaunlich, daß eine solche Segelyacht an einem solchen Ort angelegt hatte. Nicht in Aden, sondern in einem halb verfallenen Fischerdörfchen weiter östlich.
Am
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