Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
Mardsen Kai, wo die Rainbow Warrior vor Anker lag. Und wo sie sehr bald absaufen würde.
Desprez hatte einige Zeit gehabt, sich die Sache gut zu überlegen. Und war zum Entschluß gekommen, Van der Kemps Anweisung, die Explosion abzuwarten und keine Sekunde früher aktiv zu werden, sehr wörtlich zu nehmen. Keine Sekunde früher . Für Desprez hieß das, er wollte sich die Sprengung des Schiffes, die für 23:38 geplant war, zunutze machen. Kurz darauf würde er die Bühne betreten. Alle Hinweise, über die er verfügte, ließen nämlich die Annahme zu, daß Alberto Mora die Marsbilder noch immer bei sich führte. Und zweifellos würde Mora versuchen, diese Bilder von Bord eines sinkenden Schiffes zu retten. Das wäre dann der beste aller Zeitpunkte, die Angelegenheit zu einem Ende zu führen. Ein Ende, das sich ausgezeichnet in den Anschlag auf die Warrior einfügen ließe. So wie man bei Regen nicht sieht, daß jemand schwitzt.
Daß Desprez bei alldem gezwungen wäre zu improvisieren, bereitete ihm keine Kopfschmerzen. Er arbeitete allein, jeder Schritt, den er tat, war sein eigener. Er brauchte sich so gesehen nur die Kontrolle über die eigenen Schritte erhalten. Er brauchte nur sich selbst im Griff zu haben. Dann, wenn das Schiff sank, würde er an Bord gehen. Das war ein Bild, das ihm gefiel, welches seiner empfundenen Außerordentlichkeit entsprach. Desprez war kein Staatspräsident, aber als ein Denkmal seiner selbst fühlte auch er sich. Als ein unsichtbares Denkmal.
Und so stand er eine halbe Stunde vor Mitternacht am Kai und fror ein wenig in der kalten Nacht. Er sah hinauf zu den Sternen, die recht possierlich einer neben dem anderen standen. Desprez mochte diesen Anblick, der eine Fülle suggerierte, die nicht da war, diese Mimikry der Leere. Und er war stolz darauf, daß es sein Land sein würde, das sich ernsthaft bemühen wollte, den ersten kleinen Teil dieser Leere zu durchwandern und einen Planeten anzusteuern, der etwas von einer herbstlichen Billardkugel an sich hatte.
Die Explosion riß ihn aus seinen Gedanken. Es war also soweit. Wenigstens war der DGSE pünktlich. Desprez lief hinüber zur Rainbow Warrior , die sich rasch zur Seite neigte. Offensichtlich hatte die unter der Wasserlinie befestigte Mine ein beträchtliches Loch in den Rumpf des Schiffes geschlagen. Desprez wußte, daß die Besatzung an diesem Abend eine zahlenmäßig geringere war. Und er wußte, daß sich Mora unter ihnen befand.
In rascher Folge drangen nun Menschen aus dem Inneren des Schiffes und retteten sich auf den Anleger. Desprez nutzte die Panik und Verwirrung und sprang ungesehen aufs Boot. Es versteht sich, daß er sich auf dem Anderthalbmaster auskannte. Er hatte die Pläne eingesehen, wußte über die Zuordnung der Räume Bescheid und bewegte sich darum mit der Sicherheit eines Eingeweihten. Solcherart erfüllte er schon ziemlich die Rolle eines versierten Topagenten: leichtfüßig, im Straßenanzug, schwarze Lederschuhe, flink, aber unaufgeregt, trotz Enge und beträchtlicher Schrägstellung. Und genauso flink und unaufgeregt betrat er die Kabine Alberto Moras, welcher wie erwartet zurückgeeilt war, um seine Ausrüstung zu holen.
»Sehr gut«, sagte Desprez, hielt seine offene Hand dem Fotografen entgegen und ersuchte: »Darf ich Sie um die Tasche bitten.«
»Wir müssen raus!« schrie Mora.
»Seien Sie kein Kind«, drängte Desprez, »und geben Sie endlich her. Schlimm genug, daß Greenpeace in jedem Winkel der Welt auftaucht, den Mars aber, mein Bester, werden wir von Leuten wie euch sauber halten.«
Mora holte mit der freien Hand aus. Desprez packte und verdrehte sie. Nur ganz leicht, um nicht etwa Spuren eines Kampfes zu verursachen. Dann griff er nach der Tasche.
In diesem Moment erfolgte eine weitere Explosion, eine Explosion, auf die Desprez in keiner Weise vorbereitet gewesen war. Man hatte ihm gesagt, daß eine einzige Sprengung erfolgen sollte. Typisch DGSE, eine Änderung vorzunehmen, ohne ihm Bescheid zu geben. Nette Posse!
Die Wucht der Sprengung hatte die beiden Männer zur Seite geworfen. Am Boden liegend, griff Desprez erneut nach der Fototasche, deren Riemen sich allerdings in den Beinen Moras verhängt hatte. Wasser drang in die Kabine ein, stieg zügig wie in einem unter die Leitung gehaltenen Glas. Mora strampelte, schrie. Desprez konnte jetzt keine Rücksicht mehr auf einen sauberen Tatort nehmen und schlug Mora mit der Faust ins Gesicht. Der Brite kippte um, bewegte sich nicht mehr,
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