Lillys Weg
gleichzeitig liebe ich Sybille â¦â
Als sie sich trennten, weil Lilly die Kinder abholen musste und Oskar einen wichtigen Geschäftstermin hatte, war nichts klar, auÃer dass es jetzt neben der Esmeralda eine zweite Wolke in ihrem Leben gab.
Die Grünentorgasse ist eine Quergasse zur Servitengasse, und Lilly sah, als sie an der Kirche vorbeiging und nach links abbog, Sybille Richtung Porzellangasse gehen und wusste, dass sie von ihrer Masseurin kam, zu der sie beide gingen. Sie rannte los, damit sie gleichzeitig mit ihr die StraÃenbahnhaltestelle erreichen konnte, und spürte, wie die Rage in ihr jede einzelne ihrer Zellen in einen roten Feuerball verwandelte. Als sie atemlos bei ihrer ehemaligen Freundin ankam, packte sie die Verräterin mit beiden Händen an den Schultern, drückte sie an eines der parkenden Autos und schlug ihr ins Gesicht. Immer wieder. Sie schrie so laut, dass die Fenster über ihnen aufgingen und einige Passanten stehen blieben: âDu Hure, du miese Hure, du miese Hure!â
Ein Mann kam vorbei und riss sie weg. Lilly stellte mit Befriedigung fest, dass Sybilles Nase blutete. Dann merkte sie, dass ihre Beine nachgaben, und nahm dankbar den Arm der alten Frau, die sie in ihre Wohnung im Erdgeschoss des Hauses führte, in dem die Kindergruppe untergebracht war. Sie drückte sie auf einen Stuhl, gab ihr ein Glas Wasser und strich ihr über die Stirn: âIch habe es auch erlebt, ich weiÃ, wie weh es tut.â Sie reichte ihr ein Taschentuch, und Lilly fing an zu weinen. âJa, aber das ist Billi, meine gute alte Freundin!â Sie sagte den vertrauten Namen aus Studienzeiten, und plötzlich fühlte sie sich wieder ganz klein und sehnte sich nach ihrer Oma in Mellau, die schon viel zu lange tot war, und nach Ella. Sie sah sich wieder als sechsjähriges kleines Mädchen. Den neuen Ranzen, den ihr Vater in Wien gekauft hatte, stolz auf den Schultern, ihr schönes weiÃes Kleid mit den roten Punkten, frisch gewaschen und gebügelt. Sie hüpfte neben ihrer Mutter und ihrer GroÃmutter die kleine StraÃe entlang, hinter sich ihre geliebte Kanisfluh, die noch im Morgenschatten lag. Sie gingen von der Hinterbündt ins Dorf, an der Kirche vorbei zum neuen Schulhaus. Groà und beeindruckend lag es vor ihr, mit den vielen Fenstern, hinter denen sich mehr Klassenräume befanden, als Mellau schulpflichtige Kinder hatte. Ihre beiden Begleiterinnen verabschiedeten sich vor den Eingangsstufen, und als sie ihre neue Klasse betrat und alle auf ihr Stadtkleidchen und die groÃe Schultüte starrten, die ihr Mémé geschenkt hatte, fühlte sie sich ausgeschlossen. Die Kinder taten sich zu zweit zusammen und setzten sich schnell in ihre Bänke. Auch die, die sie von ihren Spielen am Bach und im Wald schon kannte. Nur Ella war anders. Sie hatte Lilly ihre kleine braune Hand entgegengestreckt und sich mit ihr verbündet. Freundin fürs Leben, dachte sie. Lilly war wieder erwachsen und spürte dankbar, dass der Satz stimmte.
âDisziplin ist eine Königskür.â Sie hörte Vaters Worte, nahm noch einen groÃen Schluck Wasser und sagte: âDanke, ich muss jetzt meine Kinder abholen, sie warten auf mich.â
Lea und Niklas. Und was jetzt? Wie würden sie leben, wie sollten sie leben? Sie musste mit Ralf reden.
Die Kinder waren stiller als sonst, so als ob sie unbewusst die drohende Gefahr spürten. Sie verzichtete darauf, zu kochen, kaufte ihnen eine Wurstsemmel, was â mit ihren eigenen Standards gemessen â streng verboten war, und nahm sie mit zum Schwedenplatz. Ralf freute sich und spielte mit ihnen in der Redaktion, bis Tilde kam, die heute eigentlich ihren freien Tag hatte.
Dann ging sie mit ihm in den Prater, und sie wanderten bis zum Jägerhaus , einem Gasthaus am Ende der Prater Hauptallee. Ralf verweigerte jede Art von Sport, aber zu einem Spaziergang, der bei einem guten Essen endete, konnte sie ihn manchmal überreden.
âIch sagâ jetzt nicht, dass ich das immer schon gewusst habe.â
âIch weiÃ, aber ich wollte es nicht sehen.â
Sie hatte sich bei Ralf eingehängt, und nachdem sie ihm eine Breitwandschilderung des letzten Dramas gegeben hatte, endete Lilly mit dem Satz: âRalf, ich habe noch nie jemanden geschlagen. Ich bin fassungslos, wie gewalttätig ich sein kann. Und am liebsten hätte ich sie umgebracht.â
Ralf lachte: âDas ist
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