Lillys Weg
die Finger schmutzig machen.â
Tilde war damit einverstanden, zweimal in der Woche am Abend als Babysitter zu kommen, und Lilly ging wieder aus.
Sie streifte, so wie früher, durch die Lokale, aà mit Ralf bei Lefti, stand an der Bar im Gläsernen Elefanten , und eines Tages traf sie dort Arthur wieder. Er war ein Enfant terrible der Kulturszene, ein Schriftsteller, der sich nicht mit gesellschaftlichen Zwängen aufhielt. Er trank wie ein Bierkutscher, fluchte wie ein Bierkutscher, liebte eine Muse nach der anderen und hatte ein Herz aus Gold. Sein weiches Herz wohnte in einem weichen Körper, denn Arthur hielt auch nichts vom Fitness- und Schönheitswahn. Er war so groà wie Lilly, aber mindestens dreimal so schwer. Sie hatte ihn bei ihrer Reportage zum Thema âWieâs den Männern mit den Frauen gehtâ kennengelernt und erinnerte sich sofort an sein Zitat von damals: âWenn der Schwanz steht, setzt das Hirn aus. Und wenn wir es wieder einschalten, müssen wir den Blödsinn reparieren, den wir angerichtet haben.â
Es wurde ein schöner Abend, und als Arthur sie mit einem Blick verabschiedete, auf den ihr Unterleib sehr direkt reagierte, fühlte sie sich zum ersten Mal seit langer Zeit lebendig.
Lilly saà auf seinem Bett, einer groÃen Matratze, die am Boden lag, und wunderte sich, während Arthur mit seinem Verlag telefonierte, dass ihn das Chaos nicht störte. Sie kam seit einem Monat meistens zweimal in der Woche hierher, immer am Vormittag, wenn Lea und Niklas in der Kindergruppe waren.
Vom FuÃboden war kaum etwas zu sehen. Er war mit Manuskripten übersät, dazwischen lagen Socken und zerknitterte Hemden. Es gab einen einfachen Tisch, auf dem schmutzige Gläser standen, zwei Stühle und ein uraltes, gemütliches Sofa. Das einzige prachtvolle Möbelstück war ein groÃer Wurlitzer, den Arthur bediente, bevor er sie vernaschte. Und Naschen meinte er durchaus wörtlich. Er liebte es, Schokoladenstückchen, Weintrauben oder Erdbeeren in ihre Scheide zu schieben, und erst, wenn er sich satt gegessen hatte, kam Lilly zum Zug. Sie mochte seinen weichen, sanften Körper und massierte ihn mit duftendem Ãl, bevor sie sich auf ihn setzte und ihn ritt. Es war ihnen beiden bewusst, dass sie füreinander ein Trostpflaster waren, was ihrem Liebesleben keinen Abbruch tat. Arthur war vor Kurzem von seiner letzten Muse verlassen worden und froh, dass er für seine Gefühle, die er dann in seinen Texten verarbeitete, eine neue Adresse gefunden hatte. Er schrieb Gedichte für Lilly, die sie im Büro in ihre unterste Schublade steckte und die sie manchmal las, wenn der Himmel gerade tief hing.
Lillys Körper wurde unter seinen Händen wieder weich und schön, aber ihre Seele blieb wund.
Sie fand Trost bei den Kindern und stürzte sich in die Arbeit. Der Verlust von Oskar warf die Frage auf, mit wem sie schlafen würde, wenn sie alt war. Was fühlten Frauen jenseits der sechzig? War ihr Körper noch so bedürftig nach Sex? Und würde es dann einen Arthur geben, mit dem sie sich vergnügen konnte? Lilly machte sich Sorgen, wenn sie daran dachte, und begann ihre Recherche. Sie sprach ältere Frauen im Park und nach Vorstellungen im Theater an, lieà sich die Mütter von Bekannten vorstellen und fragte sie nach ihrem Liebesleben.
Die Geschichte wurde ein Hit. Das Heft verkaufte sich doppelt so gut wie alle anderen zuvor. Lilly war über Nacht zur Expertin für âSex im Alterâ geworden. Der Erfolg war Balsam für ihre verwundete Seele, aber er erreichte sie nur in der obersten Schicht. Unter der Freude lauerte ein groÃes, schwarzes Loch. Dass es unter diesem Loch einen Krater gab, der gröÃer war als alles, was sie bisher erlebt hatte, spürte sie nicht. Die Esmeralda war gemeinsam mit ihrem Ehemann aus ihrem Leben verschwunden.
Während Lilly sich hauptsächlich um ihre Beziehung Sorgen machte und sich in die Arbeit stürzte, wurde âdie Suppe, die zu dünn warâ, immer dicker. Ralf sammelte weiter jede einzelne Zeile, die über die Esmeralda geschrieben wurde, und beschaffte sich geheime Informationen aus dem Justizministerium. Hier brodelte es hinter den Kulissen, während Lilly nur daran dachte, dass in drei Monaten Weihnachten war und sie sich davor fürchtete.
Würde sie den Kindern zuliebe mit Oskar vor dem Christbaum singen, und würde er dann gehen
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