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Lily und der Major

Lily und der Major

Titel: Lily und der Major Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Lael Miller
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stehen und grinste Lily an.
    Um nichts auf der Welt hätte sie
zugegeben, wie sehr sie die bevorstehende Aufgabe fürchtete. »Wolltest du noch
etwas?« erkundigte sie sich steif.
    Er zuckte mit den Schultern. »Nur
ein gebratenes Hähnchen.«
    Mit einem Blick, der Caleb deutlich
zu verstehen gab, daß er nach dem Essen in ihrer Hütte nicht mehr willkommen
sein würde, drehte Lily sich um und marschierte resolut auf den Holzblock zu,
auf dem sie das Fleisch zu zerhacken pflegte.
    Dort ließ sie den Hahn aus dem Sack,
der mit einem empörten Krähen die Flucht ergriff. Es verging beträchtliche
Zeit, bis Lily ihn wieder eingefangen und soweit gebändigt hatte, daß sie
seinen Kopf auf den Holzblock legen konnte. Dann hob sie die Axt und ließ sie
auf den Hals des Tieres hinuntersausen.
    Als die schreckliche Arbeit getan
war, glänzte Lilys Stirn vor Schweiß. Die toten Augen des Tieres starrten sie
vom Holzblock an, während sein Körper um ihre Beine flatterte. Obwohl sie
dieses Phänomen schon oft gesehen hatte, raubte es ihr an diesem Tag den
Appetit.
    Endlich gab der Vogel seinen Geist
auf und hörte auf, sich zu bewegen. Lily löste mit einem Messer die Eingeweide
aus dem Körper und trug den federbedeckten schmutzigen Kadaver zum Eingang
ihrer Hütte.
    Jemand – vermutlich Caleb – hatte in
weiser Voraussicht einen großen Topf Wasser zum Kochen aufgesetzt. Es dampfte
noch, als Lily den Topf hinausbrachte, den leblosen Körper des Hahns kurz
hineintauchte und dann wieder herausnahm. Mit angeekeltem Gesicht machte sie
sich an die mühsame Aufgabe, das Tier zu rupfen.
    Der Geruch, der von ihm ausging, war
fast nicht zu ertragen, und als der Hahn endlich gerupft und gebraten war und
mit Erbsen, Kartoffelpüree und Bratensauce
auf den Tisch kam, hatte Lily nur noch das Bedürfnis, frische Luft zu
schnappen. Caleb, Wilbur und die anderen machten sich mit soviel Appetit über
die Mahlzeit her, daß sie Lilys Verschwinden nicht bemerkten.
    Als sie nach langer Zeit zurückkam,
waren Wilbur und die anderen schon auf dem Weg zum Fort. Mißmutig hockte Lily
sich auf die Apfelsinenkiste, die der Hütte als Schwelle diente.
    Caleb kam heraus und blieb neben
Lily stehen. »Wenn du«, begann er, als setzte er eine unterbrochene
Unterhaltung fort, »wenn du in Fox Chapel leben würdest, bräuchtest du keine
Hühner zu rupfen. Da hättest du Dienstboten, die sich solcher Dinge annähmen.«
    Lily spürte, daß sie noch immer nach
nassen Federn roch. »Ich hätte für mein Leben gern ein heißes Bad«, sagte sie
sehnsüchtig.
    Es dämmerte schon. Die Pferde –
Calebs Wallach und Lilys Dancer – weideten friedlich am Bachufer.
    »Hol ein paar Eimer Wasser aus dem
Bach und stell sie auf den Herd«, erwiderte Caleb, während er zu den ersten
Sternen hinaufschaute, die hier und da wie Glühwürmchen am Himmel flimmerten.
    Lily rührte sich nicht. Sie war den
Tränen nahe und viel zu müde, um Wasser für ein Bad zu schleppen. Es war kein
guter Tag für sie gewesen; sie hatte endlich etwas über Carolines Aufenthaltsort
erfahren, nur um sie dann wieder zu verlieren ... Und dann wäre sie fast noch
vergewaltigt worden.
    Caleb ging in die Hütte und kehrte
einen Moment später mit einer der Orangen zurück, die er aus Tylerville
mitgebracht hatte. Er schälte sie und reichte sie ihr. »Hier«, sagte er. »Du
mußt etwas essen.«
    Lily aß ein Stückchen und bot dann
Caleb eins an.
    Er schüttelte den Kopf. »Nein,
danke. Hast du eine Wanne, Lily?«
    Sie deutete auf einen Stapel
Haushaltsgegenstände, der noch unter einer großen Leinwand verborgen lag. All
diese Dinge waren für das neue Haus gedacht. »Sie müßte bei dem Herd und den
anderen Sachen sein.«
    Zu ihrem Erstaunen ging Caleb
hinüber, zog die Leinwand zurück und suchte, bis er die Wanne fand, die Lily
zum Baden und zum Wäschewaschen vorgesehen hatte.
    Nachdem er sie auf den
grasbewachsenen Hof gezogen hatte, verschwand Caleb wieder in der Hütte, um
Lilys Eimer zu holen. Er trug sie zum Bach, füllte sie und schleppte sie zurück
zur Wanne.
    Lily schaute schweigend zu und
fragte sich, ob er etwa vorhatte, hier im Freien zu baden, vor den Augen von
Gott und jedermann, und noch dazu mit kaltem Wasser. Sie hatte jedenfalls
nicht vor, so etwas zu tun.
    Als die Wanne halb gefüllt war,
schob Caleb Brennholz, Papier und kleine Äste darunter und hielt ein
Streichholz daran. Lily schnappte nach Luft, als plötzlich helle Flammen an der
Wanne emporzüngelten und sie mit

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