Limonow (German Edition)
macht man kein Licht. Man rafft so viele Wodkaflaschen zusammen, wie die Rucksäcke fassen können, dann bricht man die Kassenlade auf. Nur zwanzig Rubel, was für ein Elend. Im Büro des Direktors gibt es wohl einen Tresor, aber öffnen Sie mal einen Tresor mit einem Messer! Kostja versucht es trotzdem, und während er sich abmüht, schaut sich Eduard um, was er noch mitgehen lassen könnte. Am Kleiderhaken hinter der Tür hängt ein Überzieher mit Karakul-Kragen: Nicht schlecht, der lässt sich weiterverkaufen. Ganz hinten in einer Schublade steht eine angebrochene Flasche armenischen Cognacs, sicher die persönliche Reserve des Direktors, der diese Sorte von Alkohol nicht an seine Prolls von Kunden verkauft. In der Privatsoziologie Eduards sind alle Händler Gauner; aber sie wissen, was gut ist, das muss man ihnen lassen. Plötzlich Stimmen, das Geräusch von Schrit ten, ganz nah. Die Angst stülpt ihm die Eingeweide um. Er schiebt seine Unterhose hinunter, hockt sich hin, wobei er die Zipfel des gestohlenen Mantels festhält, und lässt eine ziemlich flüssige Portion Scheiße herausschießen. Fehlalarm.
Etwas später, nachdem sie auf demselben Weg herausgekommen sind wie hinein, bleiben die beiden Jungen auf einem dieser tristen Spielplätze stehen, die Architekten von proletarischen Siedlungen so gern entwerfen. Im dreckigen, feuchten Sand am Fuß einer Rutsche, die so verrostet ist, dass Eltern ihre Kinder aus Angst vor Tetanus nicht mehr darauf setzen, kippen sie die Flasche Cognac hinunter; und nachdem Eduard sich zunächst ein bisschen dafür geschämt hat, prahlt er nun damit, ins Büro des Direktors geschissen zu haben. »Ich gehe jede Wette ein«, sagt Kostja, »dass der Dreckskerl den Bruch benutzen wird, um Kohle, die er selbst unterschlagen hat, für geklaut zu erklären.« Noch später gehen sie zu Kostja und schließen sich in sein Zimmer ein, um weiterzutrinken – woraufhin dessen Mutter, eine Kriegswitwe, sich empört und zu jammern beginnt. »Halt’s Maul, alte Sau«, antwortet ihr der Sohn galant durch die Tür, »sonst kommt mein Kumpel Ed raus und fickt dich in den Arsch!«
Nachdem sie die ganze Nacht gesoffen haben, bringen die beiden Jungen die übrigen Flaschen zu Slawa, die, seitdem ihre Eltern wegen Wirtschaftsdelikten ins Lager gesteckt wurden, bei ihrem Großvater in einer armseligen Hütte am Flussufer wohnt. Außer Eduard und Kostja ist an diesem Nachmittag noch ein älterer Typ bei Slawa, der Gorkun heißt, metallene Zähne und tätowierte Arme hat, wenig spricht und von dem Slawa mit Stolz kundtut, er habe die Hälfte seiner dreißig Jahre in der Kolym verbracht. Die Arbeitslager in der Kolyma-Region, am östlichsten Rand Sibiriens, stehen im Ruf, zu den härtesten von allen zu gehören, und dreimal fünf Jahre dort verbüßt zu haben, gilt in den Augen der Jungen soviel, wie dreimal Held der Sowjetunion geworden zu sein: Respekt! Die Stunden verstreichen langsam, und man erzählt sich irgendwelchen Unsinn, verscheucht mit schlaffer Hand die Wolken von Mücken, die im Juli über dem versandeten Fluss schwirren, stürzt lauwarmen Wodka hinunter und isst kleine Speckstücke dazu, die Gorkun mit seinem sibirischen Messer herunterschneidet. Alle vier sind betrunken, aber sie haben die für den ersten Tag des Rauschs typischen Aufs und Abs bereits hinter sich und sind in dem finsteren, sturen Stumpf sinn angekommen, mit dem der Sapoj den Rhythmus eines Kreuz fahrtschiffs aufnimmt. Als die Nacht hereinbricht, beschließen sie, ein bisschen im Park von Krasnosawodsk abzuhängen, wo sich am Samstagabend die Jugend von Saltow trifft.
Und dort, das war vorauszusehen, kriegen sie Prügel, und tatsächlich haben Eduard und seine Kumpels auch nichts anderes verdient. Es beginnt auf der Tanzfläche im Freien. Gorkun fordert ein Mädchen auf. Das Mädchen, eine Rothaarige mit großem Busen und Blümchenkleid, lehnt ab, denn Gorkun stinkt wirklich widerlich nach Alkohol und sieht aus wie das, was er ist: ein Zek , wie man Sträflinge auf russisch nennt. Um sich bei Gorkun in ein gutes Licht zu rücken, geht Eduard auf das Mädchen zu, zieht sein Messer, legt es auf eine ihrer großen Brüste und drückt leicht zu. Er versucht, eine männliche Stimme anzunehmen, und sagt: »Ich zähl’ bis drei, wenn du bei drei nicht mit meinem Freund tanzt …« Wenig später fallen die Freunde der Rothaarigen in einer dunklen Ecke des Parks über sie her. Als die Polizei aufkreuzt, verwandelt sich die
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