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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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könnten etwas fernsehen oder so.«
    »Ich würde dir wirklich gerne dabei helfen. Ich glaube, das Lesen würde mich von den Träumen ablenken. Nehmen wir verschiedene Teile, oder lesen wir uns gegenseitig etwas laut vor?«
    »Annie, ich finde nicht, daß das eine gute Idee ist.«
    »Weil es von Antietam handelt?«
    Weil es von Lees bandagierten Händen handelt und von einem Pferd mit abgeschossenen Beinen und haufenweise toten Soldaten. »Ja.«
    »Du liest das sonst laut, nicht wahr?« sagte sie. »Genau aus diesem Grund sollte ich dir helfen. Ich kann feststellen, ob Broun irgendwelche Fehler gemacht hat. Schließlich bin ich schon einmal dort gewesen.«
    Ich wußte nicht, was ich dazu sagen sollte. Ich reichte ihr die Fahnen und einen blauen Korrekturstift. »Ich lese aus dem lektorierten Manuskript vor, und du folgst dem Text und guckst, ob alles da ist und ob sie nicht eine Zeile vergessen haben. Du kannst auch nach Setzfehlern sehen. Mach einfach ein X an den Rand, und ich füge hinterher die Korrekturzeichen ein.« Ich reichte ihr einen Stift, stellte meine Füße auf den Bettrahmen und begann zu lesen:
    »Wie spät ist es, was schätzt du?« sagte Ben. Sie kauerten in einem Maisfeld gleich hinter der tiefer gelegenen Straße, auf der das Kämpfen vonstatten ging. Sie hatten über die Köpfe der Männer auf der Straße hinweggefeuert, bis ihnen die Munition ausgegangen war, und dann hatten sie begonnen, sich zwischen den Reihen zerfetzter Maisstauden zurückzuziehen, wobei sie den Toten und Verwundeten die Gewehre abgenommen und sie abgefeuert hatten. Es kam ihnen so vor, als hätten sie das schon stundenlang getan, doch die Luft war so voll Rauch, daß Ben nicht einmal die Sonne sehen konnte. Er fragte sich, ob sie nicht schon den ganzen Tag hier verbracht hatten und ob die Sonne nicht bereits untergegangen war.
    »Abend isses noch nicht«, sagte Malachi. Er hatte seine Hand unter einem Soldaten, dem die linke Schulter weggeschossen worden war, und der mit dem Gesicht nach unten zwischen den abgebrochenen Maisstengeln lag. Er hatte blondes Haar. Sein Arm lag neben ihm auf der Erde und hielt immer noch die Springfield. An seinem Ärmel war mit einem Zweig ein Stoffetzen befestigt. Ben legte sein Gewehr nieder und löste den Stoff. Es war ein Taschentuch.
    Malachi drehte ihn herum und wühlte in seinen Taschen. Es war Toby.
    »Na«, sagte Malachi. »Sieht so aus, als wär’n ihm auch die Patronen ausgegangen, eh’ sie ihn erwischt haben.« Er stieß mit Bens Gewehr nach ihm und drehte ihn mit einem Ruck wieder um. »Hör mal. Sie bringen die Kanonen heran«, sagte Malachi, und Ben fühlte, wie der Acker unter seinen Füßen erzitterte.
    »Ich muß…«, sagte Ben und begann sich wieder vorwärts zu bewegen.
    Malachi richtete sich auf und packte ihn hinten am Hemd. »Verdammt, was machst du denn da?«
    Er zeigte Malachi das Taschentuch. »Ich muß das wieder an Toby festmachen. Wie soll man sonst herausfinden, wer er ist? Wie soll seine Familie sonst erfahren, was mit ihm passiert ist?«
    »Da kommen sie schon von allein drauf, aber nicht durch das hier«, sagte er und stieß mit den Finger nach dem Taschentuch. Ben sah es an. Es war so mit Ruß bedeckt, daß er die Buchstaben kaum erkennen konnte. »Jetzt komm schon! Was, zum Teufel, machst du denn jetzt?«
    »Ich kenne ihn«, sagte Ben und wühlte in seinen Taschen. »Ich weiß, wo er her ist. Hast du ein Stück Papier?«
    Eine Kugel traf Tobys Arm und riß ein weiteres rotes Loch. »Komm jetzt«, rief Malachi, »oder der Typ da hinten reißt dir noch den Arsch auf.« Er packte Ben am Mantel und zerrte ihn durch das Maisfeld voran, bis von Toby nichts mehr zu sehen war.
    Nach einer Weile ließ das Gewehrfeuer etwas nach, und Malachi sagte: »Also ich steck mir meine Papiere in die Stiefel.«
    »Du kannst auch in den Fuß geschossen werden«, sagte Ben.
    »Schon möglich«, sagte Malachi, »aber du wirst kaum auf einen Schlag erledigt sein, und dann kannste denen immer noch sagen, wer’de bist, eh’de abkratzt.«
    »Tut mir leid«, sagte ich. »Wir hätten das nicht lesen sollen.«
    Sie war eingeschlafen. Ich nahm ihr die Fahnen aus der Hand und trug die Korrekturen ein, bis ich selbst müde zu werden begann, und dann ging ich hinüber und schaute eine Weile aus dem Fenster zum Rappahannock hinüber. Am gegenüberliegenden Flußufer hatten Unionssoldaten kampiert, nicht weiter als eine halbe Meile von hier entfernt. Der Nebel am Fluß hatte ihre Lagerfeuer

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