Linda Lael Miller
entgangen, womit er sie beleidigte! Aber da
war sie, die diskrete und doch so eindeutige Erinnerung an ihre Tage – oder
besser gesagt, Nächte – als tanzender Engel.
Um nicht
ihrem ersten Impuls, die Spieldose an die Wand zu werfen, nachzugeben, stellte
sie sie vorsichtig beiseite und holte die Puppe, die sie für Rose Marie gekauft
hatte, und das Eau de Cologne für Katie aus dem Koffer.
Beide
Mädchen waren entzückt über ihre Geschenke, und es fiel kein Wort mehr über
Webbs Entgleisung.
Zum Schluß
war es dann auch nicht Katie, sondern Rose Marie, die Bonnies beschämendes
Geheimnis verriet. Es geschah am nächsten Tag schon, keine fünfzehn Minuten,
nachdem der Zug aus Spokane in Northridge eingetroffen war.
16
Es war
ein kalter
Nachmittag, und dicke schwarze Regenwolken verdüsterten den Himmel. Aus diesem
Grund hatte Bonnie ein Feuer in dem gußeisernen Ofen im Laden angezündet, und
es brannten mehrere Petroleumlampen. Während Katie las und Rose Marie mit ihrer
neuen Puppe spielte, war Bonnie im Hinterzimmer damit beschäftigt, Platz zu
schaffen für die Waren, die Seth bestellt hatte. Auf das leise Klingeln der
Ladenglocke hin strich sie ihr Haar glatt und ihre Röcke und ging hinaus, um
den Kunden zu bedienen.
»Der > Kunde < war Eli, und er betrachtete Rose mit einem solch mißbilligenden
Gesichtsausdruck, daß Bonnie ihre Aufmerksamkeit augenblicklich ihrer Tochter
zuwandte.
Rose Marie
versohlte ihrer Puppe gnadenlos den Po.
Eli
richtete seinen Blick anklagend auf Bonnie, die vor Verlegenheit errötet war.
»Schlägst du meine Tochter?« fragte er leise, aber in einem Ton, der äußerst
bedrohlich klang.
Bevor Bonnie
etwas erwidern konnte, klappte Katie geräuschvoll ihr Buch zu. »Natürlich
nicht! Rose Marie ahmt nur nach, was sie gestern gesehen hat. Nicht wahr, meine
Kleine?«
Rose Marie,
die das Interesse an ihrer Puppe verloren hatte, richtete sich auf ihre kurzen
Beinchen auf und ging zu Eli, der sie auf den Arm nahm. Das Kind lächelte er an
und drückte es an sich, aber Bonnie maß er mit einem Blick, der sie erschauern
ließ.
»Geh nach
oben, Katie«, sagte sie schnell.
Das junge
Mädchen ging nach einem letzten trotzigen Blick auf Eli wortlos hinaus.
»Was genau hat Rose denn gesehen?« fragte Eli kühl.
Bonnie biß
sich auf die Lippen. Ihr war klar, daß sie ihm den Vorfall nicht verschweigen
konnte, wenn sie ein schreckliches Mißverständnis verhindern wollte. »Webb
verlor gestern die Beherrschung ... und ...«
Eli
erblaßte. »Was? Bei Gott, wenn er Hand an meine Tochter gelegt hat, dann ...«
Er brach ab, weil ihm ein anderer Gedanke kam. »Moment mal! Es war gar nicht
Rose, die Hutcheson geschlagen hat, nicht wahr? Er hat dich geschlagen,
Bonnie!«
»Webb hat niemanden geschlagen«, zischte Bonnie und errötete bis über beide Ohren. »Katie kam
gerade rechtzeitig herein, um ihn davon abzuhalten. Und du brauchst gar nicht
so selbstgerecht zu tun, Eli, denn du bist auch nicht besser als er! Vor ein
paar Tagen hast du mir doch noch genau dasselbe angedroht!«
»Willst du
Hutcheson etwa verteidigen?«
Bonnie
schüttelte den Kopf. »Selbstverständlich nicht. Ich würde es ihm niemals
verzeihen, wenn ich nicht wüßte, daß er nicht ernsthaft vorhatte, mir weh zu
tun.«
Ein
belustigtes Funkeln erschien in Elis braunen Augen, obwohl seine Miene ernst
blieb. »Nein? Wollte er das wirklich nicht?«
Bonnie
wandte den Blick ab. »Na ja, vielleicht schon.«
Kurzes
Schweigen, dann lachte Eli. »Was hast du getan, um den armen Teufel so weit zu
treiben, daß er die Beherrschung verlor?«
Bonnie
straffte die Schultern und schaute Eli trotzig an. »Er war wütend, weil er
gehört hatte, was über dich und mich geredet wird. Außerdem befahl er mir, mich
von den Gewerkschaftern fernzuhalten, die gestern in meinem Zug waren, und daraufhin
habe ich ihm klargemacht, daß er nicht über mich zu bestimmen hat!«
Eli nickte
seufzend. »In gewisser Weise kann ich Hutcheson sogar verstehen, obwohl ich ihm
andererseits am liebsten den Hals umdrehen würde. Auf jeden Fall werde ich ihm
sagen, daß er ein toter Mann ist, falls er so etwas noch einmal versuchen
sollte.«
Es klang so
ernst, daß es Bonnie schauderte. »Du bist ein Heuchler, Eli. Du hättest an
Webbs Stelle nichts anderes getan.«
Eli
schüttelte den Kopf. »Du wirst deine Beziehung zu ihm gar nicht abbrechen, was?
Du willst ihn nur eine Weile leiden lassen, um ihm dann gnädig zu verzeihen.«
»Dir hatte ich auch
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