Linda Lael Miller
Julia Sermon ist eine der besten Freundinnen, die ich
jemals hatte!«
Diesmal
schlug Annabel ihn ins Gesicht. Es war eine primitive Reaktion, die einsetzte,
bevor sie Zeit hatte, darüber nachzudenken, wie falsch sie war. Gabriel hatte
sie nie geschlagen, war überhaupt nie grob zu ihr gewesen, außer auf eine sehr
intime Weise, was ihr gefallen hatte, und sie besaß kein Recht, die Hand gegen
ihn zu erheben.
»Es tut mir
leid«, sagte sie.
Gabriel gab
ihren Arm frei und stieß einen Seufzer aus, der tief aus dem Grunde seiner
Seele zu kommen schien. »Mir auch«, erwiderte er ein wenig rätselhaft. »Mir
auch.« Damit schob er sich an ihr vorbei, als ob er gehen
wolle, einfach gehen und alles weitere unerledigt lassen. Doch das ertrug sie
nicht.
Sie eilte
ihm nach und verstellte ihm am Tor den Weg. »Nein, Gabriel«, sagte sie und
schaute trotzig und entschlossen zu ihm auf. »Wir werden unsere Differenzen
jetzt für den Augenblick ruhen lassen, du und ich. Es ist nicht wichtig, was
ich von deiner Freundschaft mit Julia Sermon halte oder was du von meiner
Flucht nach Boston denkst. Nur Nicholas ist wichtig.« Er wollte etwas sagen,
aber Annabel legte ihm einen Finger auf den Mund. »Du hörst nicht zu, Gabriel.
Die Zukunft unseres Sohnes steht auf dem Spiel, und vielleicht sogar sein
Leben. Ich werde einen Weg finden, ihm zu helfen, aber ich brauche deine
Unterstützung, wenn es mir gelingen soll.«
»Du willst
also einen Waffenstillstand.«
Sie nickte.
»Sobald wir wissen, daß Nicholas nicht mehr gefährdet ist, kannst du mir sagen,
was du willst. Mach dir eine Liste, falls du Angst hast, eine meiner zahllosen
Sünden zu vergessen, aber behalte sie bei dir, bis wir diese Schlacht gewonnen
haben.«
Gabriel
starrte sie lange an. Dann fuhr er sich noch einmal mit der Hand durchs Haar
und seufzte wieder. »Na schön«, sagte er rauh. »Aber ich will verdammt sein,
wenn ich weiß, wo wir beginnen sollen.«
Annabel
hätte ihn jetzt umarmen können, so unendlich dankbar war sie ihm für seine
Zustimmung, doch sie gab diesem Impuls nicht nach. Statt dessen schob sie
ihren Arm durch seinen. »Wir beginnen damit, am Ball zum Unabhängigkeitsfest
teilzunehmen«, sagte sie mit unsicherer Stimme. »Wir wer den schon wissen,
was zu tun ist, wenn wir scharf beobachten.«
Zum ersten
Mal ließ Gabriel sich seine eigene Sorge um Nicholas anmerken. »Ich hoffe, du
hast recht«, murmelte er. »Sommervale und seine Männer sind hier, um die
Viehdiebe zu finden, die seit einiger Zeit die Fleischvorräte der Armee
stehlen, und sie werden jeden, der etwas damit zu schaffen hat, gnadenlos
verfolgen, und wenn sie dazu den ganzen Staat absuchen müssen.«
Er öffnete
das Tor und ließ Annabel vorangehen. »Ich schätze, zuerst werden wir ihn finden
müssen«, sagte sie.
Der Tanz
fand auf einem schlichten Holzplankenboden statt, der im Pfarrhof ausgelegt
worden war, überall waren bunte Papierlaternen aufgehängt. Die Kapelle, die zum
Tanz aufspielte, bestand aus zwei Geigern und dem Pianospieler des Samhill
Saloons, der bei besonderen Gelegenheiten wie dieser hier sein Cello
hervorholte und ihm temperamentvolle Melodien entlockte.
Ohne
besondere Förmlichkeit nahm Gabriel Annabel in die Arme und zog sie in den
Kreis der Tanzenden. Auf dem Tanzparkett war er mindestens ebensogut wie in
allem anderem – wie beim Reiten, Schießen und im Bett.
Annabel
fühlte sich sicher und geborgen in seinen Armen, und obwohl sie wußte, daß es
nur eine Illusion war, erlaubte sie sich die schlichte Freude, sich von ihm
durch die einzelnen Schritte führen zu lassen. Die anderen Tänzer nahm sie nur
verschwommen wahr, und für diesen gesegneten Moment, in dem die Zeit beinahe
stillzustehen schien, dachte sie an nichts anderes als den Mann, der sie in
seinen Armen
hielt. An den Mann, der sie vor solch langer Zeit zur Frau gemacht und sie dazu
gebracht hatte, sich in leidenschaftlicher Verzückung unter ihm zu winden.
Und das
wollte sie jetzt wieder, obwohl sie wußte, daß es unklug und nur für kurze Zeit
gewesen wäre. Aber wenigstens für eine einzige Nacht lang wollte sie Trost und
Leidenschaft in Gabriels Armen finden.
»Du bist
noch schöner als früher«, sagte Gabriel nach den ersten Tänzen beiläufig, und
Annabel wußte, daß es ernst von ihm gemeint war. Es war nicht seine Art, leere,
frivole Komplimente zu machen, nicht einmal in der intimsten aller Situationen.
Lächelnd
erhob sie ihren Blick zu ihm. »Danke«, murmelte sie, als
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