Linda Lael Miller
nichts an meinem Entschluß, mich von seinem Vater scheiden zu lassen.«
»Und ich
bezweifle, daß Gabriel es sich in dieser Hinsicht anders überlegt hat«, warf
Jessie ein. Wahrscheinlich waren ihr Annabels rosig angehauchte Haut und ihre
glänzenden Augen aufgefallen, und sie hatte ihre Schlüsse daraus gezogen. »Ich
kenne meinen Bruder, Annabel – er wird an die Decke gehen, wenn er es erfährt.«
»Er wird
froh sein, mich wieder loszusein.«
Jessie
schüttelte den Kopf. »Ganz im Gegenteil, Annabel. Ganz Parable wird sehen, was
geschieht, genau wie vorher, und Gabriel wird sich erneut furchtbar gedemütigt
fühlen. Weißt du denn wirklich nicht, wie stolz er ist?«
Annabel
sprang auf und begann nervös durch den Raum zu gehen. Sie hatte dies nicht
getan, um Gabriel zu demütigen, sie versuchte nur, sich selbst vor ihrer
eigenen Verwundbarkeit zu schützen. Wenn sie noch länger auf der Ranch blieb,
wäre sie nicht viel besser als eine Dirne.
Ob
verheiratet oder geschieden, Annabel hatte nicht vor, länger als nötig in
Parable zu bleiben, und weiterhin Gabriels Bett zu teilen, wäre niederträchtig
und gemein gewesen. Dennoch war sie sicher, daß es ihr nicht gelingen würde,
ihm zu widerstehen. Ihre hemmungslose Hingabe in der Nacht zuvor genügte ihr
als Beweis dafür.
»Ich möchte
weder Gabriel noch irgend jemand anderen verletzen«, beharrte sie.
»Ich weiß«,
erwiderte Jessie begütigend. »Setz dich. Du machst mich ganz nervös mit diesem
Auf-und-ab-Marschieren.«
Annabel
spürte, wie ihr die Tränen kamen, und blinzelte, um sie zu verdrängen. »Egal,
was ich tue, es ist nie richtig. Ich war eine schlechte Mutter, eine schlechte
Ehefrau ...«
»Setz dich«, bat Jessie.
Annabel
kehrte zu ihrem Sessel zurück und setzte sich. »Warum muß alles bloß so
schwierig sein?« rief sie.
Jessie
lächelte ein wenig traurig. »Wie sehr ich diese Art von Schwierigkeiten vermißt
habe!« meinte sie.
Jede
Ablenkung, und mochte sie noch so flüchtig sein, war Annabel willkommen. »Du
hattest ganz bestimmt mehr als genug Möglichkeiten, eine neue Ehe einzugehen,
Jessie. Warum hast du es nicht getan?«
»Ich hatte
Bewunderer nach Franklins Tod, das stimmt«, gestand Jessie, während sie sich
eine zweite Tasse Tee einschenkte. »Aber ich habe nie das gleiche wie bei Frank
empfunden. Und mit weniger konnte ich mich nicht abfinden.«
Annabel
wandte den Blick ab. »Ich verstehe.«
»Tust du
das wirklich, Annabel?« fragte Jessie und streckte die Hand aus, um die ihrer
Schwägerin zu berühren. »Dann hast du vielleicht auch schon die Möglichkeit
bedacht, daß kein anderer Mann je Gefühle in dir erwecken wird, wie du sie bei
Gabriel empfunden hast. Weder die Freude noch die Leidenschaft, weder den
Ärger noch den Schmerz. Annabel, ihr beide habt zusammen diese Ranch gegründet.
Zusammen habt ihr Nicholas gezeugt. Und man braucht kein Detektiv zu sein, um
dir anzusehen, daß du die
Nacht in Gabriels Bett verbracht hast. Du schwebst einen halben Zentimeter über
dem Boden, seit du dieses Haus betreten hast, und leuchtest, als hättest du ein
Stück vom Mond verschluckt. Du mußt doch wissen, daß du niemals mit weniger
glücklich sein würdest«
Annabel sah
sich nicht in der Lage, etwas darauf zu erwidern.
7. Kapitel
Charlie beschäftigte sich schon seit
Stunden in der Küche, als wollte er Annabel beweisen, daß seine Kochkünste sich
gebessert hatten. Es kam nicht oft vor, dachte Gabe, während er vor dem Essen
eine Tasse Kaffee trank, daß er und Nicholas zusammen aßen; daß nun auch
Annabel dabei war, war ein Phänomen von geradezu historischer Bedeutung.
Es wirkte
wie eine glückliche Szene, und doch hatte Gabe ein unbehagliches Gefühl dabei,
das er nicht genau bestimmen konnte; ein Gefühl, das nichts mit der
unangenehmen Lage zu tun hatte, in die Nicholas sich gebracht hatte. Er und
Annabel waren jahrelang getrennt gewesen, aber das hieß nicht, daß er es nicht
merkte, wenn sie etwas im Schilde führte.
Es war
anzunehmen, daß Annabel diese kleine Zusammenkunft – die in jedem anderen
Haushalt vollkommen normal gewesen wäre – geplant hatte, um irgend etwas
Wichtiges anzukündigen, und die Möglichkeiten, worum es dabei gehen mochte, wa
ren allesamt zutiefst beunruhigend. Vielleicht hatte sie beschlossen, sich hier
auf der Ranch einzurichten. Oder – schlimmer noch – sie wollte wieder abreisen.
Gabe fuhr
sich nervös durchs Haar, was ihm ein wissendes Grinsen von Charlie eintrug,
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