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Linda Lael Miller

Linda Lael Miller

Titel: Linda Lael Miller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Preis des Verlangens
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Gabriels Wagen borgen und einige seiner Männer
mitnehmen, damit sie uns beim Tragen helfen.«
    Annabel war
gerührt, nicht nur von Jessies Großzügigkeit, sondern vor allem von der
Versöhnlichkeit ihrer Geste. Gabriels Schwester war außer sich vor Zorn gewesen
an jenem Tag, als Annabel mit ihrem Sohn die Postkutsche bestiegen hatte, um
Parable – und Gabriel – für immer zu verlassen. »Ich hätte solche Güte nicht
von dir erwartet«, erwiderte sie auf ihre gewohnte freimütige Art.
    Jessie
drückte Annabels Hand. »Es tut mir leid, wenn du mich all diese Zeit als deinen
Feind betrachtet hast«, sagte sie, »aber es ist wirklich deine eigene Schuld,
wenn es so war. Du mußt lernen, liebe Annabel, daß Menschen wütend auf dich
sein und dich dennoch sehr, sehr lieben können. Wie Gabriel beispielsweise.
Oder Nicholas.«
    Annabel
wußte nicht, was sie darauf erwidern sollte, und trank einen Schluck Tee als
taktische Verzögerung. In Gedanken sah sie ihren betrunkenen Vater vor sich,
wie er sich zornig vor ihr aufbaute, nur dürftig bekleidet und mit wirrem Haar,
weil sie ihn bei irgendeinem Schäferstündchen unterbrochen hatte. »Ich hätte
dich in ein Waisenhaus stecken sollen«, hatte er gesagt. »Es wäre besser
gewesen, wenn du zusammen mit deiner unseligen, ewig jammernden Mutter
gestorben wärst. Glaub bloß nicht, daß es keine Möglichkeiten gibt, dich
loszuwerden, Mädchen, denn die gibt es in der Tat.«
    Annabel
erschauderte und zwang sich, in die Gegenwart zurückzukehren. Ellery Latham war
schon lange tot; die Wirkung seiner grausamen Worte jedoch lebten weiter.
    »Ich habe
beschlossen, eine Teegesellschaft für dich zu geben«, sagte Jessie, »an diesem
Samstag um vier Uhr. Die Einladungen sind bereits herausgegangen.«
    Annabel
starrte sie mit großen Augen an, erschrocken und entzückt zugleich. Sie sehnte
sich danach, akzeptiert zu werden und irgendwo dazuzugehören, aber sie wußte
auch, daß die anständigen Frauen von Parable sie für eine Dirne hielten. »Es
wird niemand kommen, Jessie!«
    »Natürlich
werden sie das«, erwiderte Jessie, am gestärkten Kragen ihrer Bluse zupfend.
»Es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, wenn sie die neue Lehrerin
kennenlernen möchten. Sie wohnt bei mir, weißt du. Sie kam heute mit der
Postkutsche, so daß inzwischen alle wissen müßten, daß sie hier ist. Ihr Name
ist Olivia Drummond, und sie ist auf ihre Weise ziemlich hübsch.«
    Jessie
beugte sich vor und senkte ihre Stimme zu einem vertraulichen Flüstern. »Sie
ist höchstens dreißig und trägt keinen Ehering. Die ideale Frau für Marshal
Swingler. Wir müssen dafür sorgen, daß sie sich am Sonntag nach der Messe
kennenlernen.«
    Annabel
lachte vor sich hin. In ihrem Leben waren so viele
Dinge falsch gelaufen, daß sie sie kaum zählen konnte. Aber Jessie war wieder
ihre Freundin, und das entschädigte sie für eine Menge.

8. Kapitel
    Gabriel wurde auf einer kleinen Plattform,
die durch ein ausgeklügeltes System aus schweren Tauen und Ketten bewegt wurde,
in den Minenschacht herabgelassen. Er hielt eine Petroleumlaterne über dem
Kopf und spähte unbehaglich in die Finsternis. Er hatte ein wahres Vermögen aus
diesem Schacht geholt wie auch aus etlichen anderen, vermied es aber, diese
Orte zu betreten, wann immer es ihm möglich war. Seiner Meinung nach sollte kein
Mensch sich unter die Erde begeben, bevor er nicht begraben war.
    Knut
Gilchrist, sein Vorarbeiter, erschien wie ein Geist an seiner Seite. »Folgen
Sie mir, Boß«, sagte er. Er bewegte sich in dieser Hölle so trittsicher und vertrauensvoll
wie Gabe im Samhill Saloon. »Die neue Ader ist ziemlich weit dort hinten.«
    Gabe folgte
ihm. In der Dunkelheit war das leise rhythmische Geräusch von Spitzhacken an
Stein zu hören und das gedämpfte Murmeln der Männer, die hier arbeiteten. In
der Grube war es kalt, obwohl es Juli war, und sie roch feucht und modrig wie
ein frisches Grab.
    Das Licht
von seiner und von Gilchrists Laterne blendete Gabe, aber er wußte, daß der
andere Mann wie eine Katze in der Dunkelheit sah. Tiefer und tiefer drangen
sie in den Stollen ein, durch ein Laby rinth von Katakomben, und Gabe dachte,
daß er, falls Gilchrist ihn hier im Stich ließ, vielleicht nie wieder ans
Tageslicht zurückfinden würde. Und zu Annabel.
    »Hier ist
es«, sagte Gilchrist endlich, als Gabe gerade dachte, sie müßten schon irgendwo
unter dem nächsten Bundesstaat sein. Der Vorarbeiter legte eine Hand an die
Felswand und hielt

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