Linda Lael Miller
seine Laterne hoch. »Diese Ader sieht so aus, als verliefe
sie von hier bis Carson City«, erklärte er. »Wir werden allerdings sprengen
müssen, und das wird den Gang erst mal verschütten.«
Gabriel
seufzte. Er besaß mehr Geld, als seine Enkelkinder jemals ausgeben konnten –
vorausgesetzt natürlich, daß Nicholas lange genug am Leben blieb, um ihm Enkel
zu schenken –, aber es waren auch noch andere Dinge zu bedenken. Ein Großteil
der Bevölkerung von Parable war auf die Arbeit hier in diesen Bergwerken
angewiesen, ganze Familien lebten von den Löhnen, die hier verdient wurden. Er
konnte nicht einfach aufgeben und die Mine schließen.
»Was meinen
Sie?« beharrte Gilchrist, als Gabe nicht sofort antwortete. Der Vormann war ein
Witwer mittleren Alters, mit drei unscheinbaren, aber lebensfrohen Töchtern,
die sich alle sehr für Nicholas interessierten. Ohne die Arbeit in der Mine
hätte Gilchrist seine Töchter nicht ernähren können.
»Wenn Sie
sicher sind, daß es sich lohnt, den Rest der Mine zu verschütten«, antwortete
Gabe ergeben, »dann lassen Sie die Ader sprengen.«
Gilchrists
schiefe Zähne schimmerten im Lampenlicht, als er lächelte. »Sie werden es
nicht bereuen, Boß«, versprach er und streichelte den Fels so liebevoll wie
eine Frau. »Sie werden Ihre eigene Bank eröffnen
können, sobald wir dieses Erz gefördert haben.«
Gabe
seufzte. »Ja«, meinte er. In der Nacht zuvor hatte er schlecht geschlafen, weil
Annabel ganz in der Nähe in dem Bett lag, das sie einst geteilt hatten, und
seine Laune war so düster und komplex wie das Gewirr der Gänge hier in der
Mine. Sein Verlangen nach Annabel war so stark, so inbrünstig, daß es seinen
Verstand umwölkte, in seinen Lenden schmerzte und ihm die Kraft aus den Knien
raubte.
Wenn er
auch nur die geringste Vernunft besessen hätte, hätte er Annabel die Scheidung
gewährt und sie nach England zurückkehren lassen, um dort irgendeinen Dandy zu
ehelichen. Die Vorstellung tat weh, und sie würde wie ein heißes Eisen in einer
offenen Wunde sein, aber sobald Annabel erst einmal fort war, konnte diese
Wunde heilen.
»Boß?«
Gabe fuhr
leicht zusammen. Er war wieder einmal abgelenkt gewesen, und das war nicht gut
– vor allem nicht so tief unter der Erde. »Sagten Sie etwas?«
Gilchrist
lachte. »Ja, Sir. Ich sagte, daß in ein paar Tagen eine Ladung Erz für den
Transport bereit sein wird. Ich denke, wir sollten diesmal noch einige
zusätzliche Wachen mitnehmen. Angesichts des Tricks, den sie der Kavallerie
gespielt haben, meine ich, als sie die Rinder raubten.«
Gabe fuhr
sich mit der Hand durchs Haar, froh, daß Gilchrist wieder auf dem Rückweg zum
Hauptstollen der Mine war. Er konnte im hellen Tageslicht klarer denken, und
er hatte einiges zu bedenken, was Annabel, Nicholas und den bevorstehenden
Rinderauftrieb nach Fort Duffield betraf.
Das Erz
würde an eine Schmelze in Carson City verkauft werden – falls es je dort ankam.
»Ich bringe
die Rinder selbst nach Duffield«, sagte Gabe. »Heuern Sie so viele Männer an,
wie Sie können, um den Erztransport zu bewachen. Nicholas wird ihn
sicherheitshalber auch begleiten.«
Sie hatten
inzwischen den Hauptstollen erreicht; Gabe konnte schon die Plattform sehen,
die ihn wieder an die Oberfläche bringen würde. Ihm wurde ganz schwindlig vor
Erleichterung, aber trotzdem entging ihm nicht das kurze Schweigen, das Gilchrists
Erwiderung voranging.
»Gut!«
sagte er. »Das ist gut.«
Als Gabe
auf die Plattform stieg, fragte er sich, wie begierig der Vorarbeiter wohl in
diesen Tagen sein würde, eine seiner Töchter mit Nicholas zu verheiraten, so
wie in letzter Zeit über seinen Sohn geredet wurde.
Gabe rief
dem Mann oben am Ausgang zu, ihn heraufzuziehen. »Sagen Sie mir Bescheid, wann
das Erz transportbereit ist«, bat er Gilchrist, »und geben Sie bitte eine
Warnung aus, bevor Sie sprengen. Beim letzten Mal sind uns sämtliche Kühe in
einem Radius von zehn Meilen entweder davongerannt oder haben einen Monat lang
saure Milch gegeben. Ich habe keine Lust, schon wieder Schadenersatz zu
leisten.«
Der Seilzug
quietschte; die Plattform schwankte heftig und begann hinaufzusteigen.
Gilchrist
lachte und winkte Gabe noch einmal zu.
Draußen, am
Eingang zur Grube, atmete Gabe ein paarmal tief durch und freute sich über die
warmen Sonnenstrahlen auf seiner Haut.
»Wo ist
Nicholas?« fragte er zwanzig Minuten später, als er vor der Scheune seiner
Ranch absaß. Er hatte sich
vorgenommen,
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