Linksträger: Roman (German Edition)

nach unten tragen, noch mehr als der Taucher. Also so eingeklemmt zwischen den Beinen. Wissen Sie, was ich meine?«
    »Natürlich weiß ich, was Sie meinen. Sie sprechen vom ›Grafen von Monte Christo‹.«
    »Ja, genau, der ›Graf von Monte Christo‹. Von dem spreche ich. Was ist mit dem?«
    »Dieser Mann ist wie der Graf von Monte Christo ein Gefangener, der nur allzu gerne ausbrechen möchte. Er ist die Geisel seiner selbst und in seinem eigenen Körper gefangen, den er tief in seinem Inneren verachtet. Der ›Graf‹ versteckt sein Glied zwischen seinen Schenkeln, möchte es unsichtbar für sich und alle anderen machen. Er formt mit diesem Trick eine Art Scheide nach. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit homosexuell.«
    »Und Sie sind sich sicher, dass man von der Position des Penis rückschließen kann, ob jemand homosexuell ist.«
    »Nicht ich allein. Die Wissenschaft der Tiefenpsychologie. Wissen Sie, das Ablegen des Geschlechtsorgans geschieht unterbewusst, ohne dass es einem die Eltern vorgegeben hätten. Es ist von der Natur vorbestimmt.«
    »Also ist alles, was tendenziell nach rechts wandert, gleichgeschlechtlich orientiert. Alles, was hingegen nach links knickt, eher hetero.«
    »Genau, Herr Süßemilch. Aber so, wie ich Jana kennengelernt habe, ist sie eine starke und liberale junge Frau, die damit zurechtkommen wird. Egal ob schwul oder nicht schwul.«
    »Jana? Aber ich sagte doch …«
    »… sagen Sie nichts, Herr Süßemilch. Es ist in Ordnung. Ich mag Sie. Sie sind faszinierend. Und falls Sie Fragen haben, rufen Sie mich einfach an. Sie können mich jederzeit über meine Mobilnummer erreichen.«
    Ich spare mir eine erneute Erklärung und bedanke mich für das aufschlussreiche Gespräch über einäugige Schlangen, den Führer und den Grafen von Monte Christo.

10 Der Playmobilmann
    V om Küchenfenster aus überwache ich am Abend des nächsten Tages den Einzug meines Opfers. Während ich hinter dem Vorhang kauere, erkenne ich, dass Jana zumindest in einer Hinsicht nicht übertrieben hat. Denn Nora und Falco entsteigen einem Peugeot 206 in Silber. Exakt das Auto, welches auch meine Freundin ihr Eigen nennt. Auch Jana bleibt das nicht verborgen, und sie tanzt wie Rumpelstilzchen auf Koks vor dem Fensterbrett herum.
    »Siehst du, ich hab’s doch gesagt, die kupfert alles ab. Ich weiß noch nicht mal, woher sie weiß, dass ich einen Peugeot fahre.«
    »Hm.«
    »Die ist krank.« Jana fuchtelt mit ihren Händen in der Luft umher, als würde sie mit Karmascheren jonglieren. »Die ist krank. Ich habe es dir gesagt. Habe ich es dir nicht gesagt?«
    »Ja, hast du. Jetzt beruhig dich. Vielleicht ist das ja nur ein dummer Zufall.«
    »Dumm ja, aber kein Zufall. Aber gut, ich bin ganz ruhig. Doch du wirst es schon sehen. Und noch was, Robert.«
    »Ja?«
    »Falco hat einen etwas ungewöhnlichen Nachnamen. Also reiß dich bitte zusammen und lach nicht los, wenn er sich vorstellt.«
    »Warum sollte ich lachen? Ich laufe seit fast vier Jahrzehnten mit dem Nachnamen Süßemilch durch die Welt. Ich bin der Letzte, der sich über Namen anderer lustig macht.«
    »Dann ist ja gut.«
    »Wie heißt er denn?«, frage ich, doch da ertönt bereits die Türklingel, und Jana eilt zum Sprechfunk.
    »Ja? – Dritter Stock, der Aufzug ist leider kaputt.«
    Jana hängt den Sprechfunk wieder ein und zeigt dem Hörer den Mittelfinger. »Fuck you!«
    Ich schaue sie verblüfft an. »Unser Fahrstuhl ist kaputt? Dann müssen wir unbedingt den Hausmeister anrufen.«
    »Er ist nicht kaputt …« Jana grinst. »Aber ich will dieses Miststück leiden sehen. Sie soll mir verschwitzt unter die Augen treten.«
    Etwas kurzatmig biegen wenig später zwei Personen um die Ecke. Und tatsächlich. Ich lasse meinen Blick zweimal zwischen Jana und Nora hin- und herspringen. Es ist unglaublich. Cousinchen Nora scheint von Madame Tussauds einen perfekten Ganzkörperabdruck von Jana zur Verfügung gestellt bekommen zu haben. Sie trägt die gleiche Haarfarbe und den identischen Haarschnitt. Und selbst ihre schicke Schwangerschaftskleidung kommt mir nicht unbekannt vor.
    Bei Falco ist das anders.
    Mein persönliches Opfer favorisiert eher den konservativen Oberbekleidungsstil eines Nerds: Nickelbrille, kariertes Hemd und ein Pullunder zieren den ansonsten hageren Körper. Sein breites Kinn verleiht ihm dazu endgültig die Figur eines Nussknackers. Ich bekomme fast ein wenig Mitleid mit ihm und möchte ihm am liebsten ein paar Meisenknödel um