Linksträger: Roman (German Edition)
entschwindet kurz darauf tatsächlich in eine der Umkleidekabinen, um in den kanariengelben Anzug zu schlüpfen, und Horst sabbert mir derweil auf die Schuhe. Wird jedoch dafür sofort von Sergio gerügt.
»Sitz, Horst! Ganz brav, sonst kommst du wieder in den Zwinger.«
»Oh«, entfährt es mir. »Der Zwinger. Böser Horst.«
Sergio beugt sich zu mir herüber und flüstert mir mit vorgehaltener Hand ins Ohr: »Das will er doch nur. Es ist so ’ne Art Spiel. Horst ist eigentlich ein ganz schüchterner Typ.«
Ich schaue zu Horst hinunter. Schüchtern ist für mich nicht der naheliegendste Begriff, der mir beim Anblick dieses Hundert-Kilo-Ledermanns mit einem behaarten Brustkorb wie ein ausgewachsener Flachlandgorilla einfällt. Ich frage daher vorsichtig nach: »Schüchtern?«
»Ja, wie dein Verlobter. Der ist auch ziemlich schüchtern, oder?«
»Verlobter? Ach so, Falco? Ja, das stimmt. Das liegt aber nur daran, dass er noch kein offizielles Coming-out hatte.«
»Ehrlich?« Sergio ist sichtlich brüskiert und schützt seinen Brustkorb mit einer leicht gespreizten Hand. »Er arbeitet als Callboy, hatte aber noch kein Coming-out? Du lieber Himmel, und dann heiratet ihr gleich? Ihr seid aber mutig.«
»Äh, ja. Wir wollen unsere Liebe einfach nicht mehr länger verheimlichen.«
»Also, ich seh so was ja immer gleich, ob jemand schwul ist oder nicht. Da braucht es gar kein Coming-out.«
Das klingt allerdings interessant für mich. Vielleicht benötige ich gar keine Schlangenkontrolle.
»Ach, wirklich? Wie meinst du das?«
»Ich hab’s deinem Freund sofort angesehen, dass er schwul ist, als er durch die Tür reinkam.«
»Tatsächlich?«
»Natürlich. Sofort. Wie er sich bewegt und mich anschaut. Da steckt viel versteckte Schwulheit drin.«
Wer hätte das gedacht? Ich versuche, durch enge Hosen herauszufinden, ob Falco seine Gäste gern im braunen Salon begrüßt, und Prosecco-Sergio erkennt es binnen Sekunden. Da kann ich ja jetzt ganz beruhigt zu Jana nach Hause kommen und ihr sagen, dass die Mission beendet ist und ich von nun an durchschlafen kann.
»Na, dann prost. Weißt du, Sergio. Damit hast du mir einen großen Gefallen getan.« Ich stoße mit dem Tempelbesitzer auf die neu gewonnene Erkenntnis an und nehme einen großen Schluck Blubberbrause.
»Das freut mich. Auf mein Urteil ist Verlass. Dein Freund ist zwar schüchtern, aber seine Homosexualität kann er genauso wenig verbergen wie du, Süßer.«
Sofort spucke ich den Rest meiner Sektplörre zurück ins Glas.
»Was? Ich?«
Noch bevor Sergio antworten kann, kommt Falco aus der Umkleidekabine zurück und sieht in seinem Kostüm unglaublich beschissen aus. Eine Mischung aus Lady Gaga und einem Wellensittich in der Mauser.
»Na, hab ich es nicht gesagt?« Sergio scheint komplett anderer Meinung. »Du kannst das tragen, Schätzchen.«
»Findest du?«
»Aber ja, Hasi. Du siehst fan-tas-tisch aus.«
»Na, ich weiß nicht.«
»Schätzchen, du wirst auf der Hochzeit damit alle neidisch machen.«
»Ach, ich denke eher nicht, Sergio.« Falco winkt ab. »Ich überlege mir das noch mit dem Anzug. Vielleicht kommen wir später wieder.«
»Kein Problem. Ich bin bis zum Abend hier.«
Falco schubst mich an, während Sergio sich um Horst kümmert.
»Nimm es mir bitte nicht übel, Robert. Aber ich geh noch mal zu Herrn Blümel rüber. Die haben bestimmt auch einen Anzug, der nicht aus dem Kongo kommt und nicht von Kindern genäht wurde.«
16 Schwanz-Gurke
A m Abend wollen wir alle gemeinsam essen. Da Jana aber keine Lust hat, auch noch für ihre Cousine zu kochen, haben wir etwas vom Inder bestellt. Wie sie mir nach der Bestellung mit einem Lächeln gesteht, tut sie das deswegen, weil sie weiß, dass Nora scharfes Essen nicht gut verträgt. So sitzen wir nun um den Esstisch bei Palak Paneer und Chicken Tikka Masala für vier. Alles laktosefrei und ohne Sahne zubereitet, damit Brummelbärchen nicht wieder abnippelt.
»Ach Nora, hast du dich extra fürs Essen umgezogen? Schöner Pulli, wo habe ich den nur schon mal gesehen?«
Ich mustere Nora und erkenne einen roten Strickpullover, der selbst mir nicht unbekannt vorkommt, da das Teil zu Janas Lieblingsstücken zählt. Unfassbar, das Gürkchen kopiert meine Freundin tatsächlich bis ins Detail.
»Vielleicht im Fernsehen«, lautet die wenig überzeugende Antwort.
Doch Jana reißt sich zusammen. »Fernsehen? Das wird’s gewesen sein.«
»Siehst du … Hihihi-Hähähä.«
Kampfhundlache. Ich
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