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Linksträger: Roman (German Edition)

Linksträger: Roman (German Edition)

Titel: Linksträger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Boltz
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mehr Schaulustige eingefunden als von mir geplant. Wahrscheinlich ist die Kirche sogar besser gefüllt als bei regulären Messen. Es hat sich wohl herumgesprochen, dass hier eine Weltpremiere stattfinden wird. Und so warten bereits rund dreißig Personen gespannt darauf, dass sich der Vorhang zu dem einmaligen Schauspiel der »Robert-Süßemilch-Messe« öffnen möge. Darunter befinden sich fast alle Freunde und Bekannten, die wir auf die Schnelle zusammentrommeln konnten. Elf Katholiken, acht Protestanten, drei Muslime und zwei Konfessionslose. Außerdem befinden sich noch ein paar Kolleginnen von Jana, von denen ich keine Ahnung habe, welcher Konfession sie angehören, in den hinteren Bänken.
    Jana hat mir eine Tischdecke ihrer Mutter umgenäht, die seit ewiger Zeit in einer Schublade lag, da sie für unseren Tisch einfach zu hässlich war. Die goldene Bordüre nebst Ornamenten hat in der Tat etwas Klerikales. Und so dient sie mir heute als Messgewand. Die Tischdecke passt mir überraschend gut, außer dass ich alle paar Meter auf den Saum trete, da der Stoff zehn Zentimeter zu lang ist.
    Die Kirche stand tatsächlich offen, und niemand schien überrascht, als wir mit der dreißig Mann starken Prozession hier einzogen und sie annektierten. Ich habe mich im Anschluss umgehend zum Altar begeben und unter der strengen Aufsicht der Jesusfigur über mir alles vorbereitet. Irgendwie brennt mir jedoch der Blick des Gekreuzigten im Nacken.
    Er wird mir mein kleines Intermezzo doch nicht übel nehmen?
    Hatte Jesus eigentlich Humor?
    An einschlägige Kalauer kann ich mich im Neuen Testament zwar nicht erinnern, aber jemand, der nach ein paar Tagen mit so einer David-Copperfield-Nummer aus seinem Grab verschwindet und alle dumm aus der Wäsche schauen lässt, muss doch über einen ziemlich trockenen Humor verfügen, oder? Wohl ist mir in meiner Haut trotzdem nicht, und ich drehe mich zu ihm um. Bisher habe ich immer nur gebetet, wenn die Eintracht mal wieder kurz vor dem Abstieg stand. Nach dem unnötigen Abstieg 2011 habe ich aber selbst das eingestellt.
    »Okay, Jesus, lass uns das wie Männer regeln. Ich gebe zu, ich habe dir nicht oft eine faire Chance gegeben. Und dass du kein Eintrachtfan bist, kann ich auch akzeptieren. Aber ich verspreche dir, wenn du mir jetzt hilfst, werde ich einmal im Monat in die Kirche gehen … Na gut, jeden zweiten Sonntag. Meinetwegen lege ich auch noch die Taufe meines Kindes obendrauf. Also, was sagst du? Haben wir einen Deal?«
    Natürlich zuckt kein Blitz herab, aber dennoch denke ich, dass wir uns verstanden haben. Ich gehe wieder zurück zum Altar, um den Rotwein aus dem Tetrapack zu befreien und in Julias Judopokal zu schütten. Auch die weißen Backoblaten finden ihren Weg in eine Kupferschale, in der ich sonst die Pfandmarken aufbewahre. Währenddessen strömen noch ein paar Nachzügler in die Reihen. Mein österreichischer Freund Hubsi winkt mir zu und nimmt in aller Seelenruhe hinter der Orgel Platz.
    »Was machst du da?«, frage ich ihn erstaunt.
    Hubsi zuckt verständnislos die Achseln.
    »Oiso, i hob denkt, wennsd scho so a Show machst, könnt i vielleicht a bissl spuin. Was denkst?«
    Ich weiß, dass Hubsi in den frühen Achtzigerjahren als Keyboarder einer Hardrock-Cover-Band tätig war und somit Noten lesen kann. Gerade will ich ihn noch fragen, ob er auch leise spielen kann, als es plötzlich an der Tür ruckelt und Jana, Gürkchen sowie Brummelbärchen eintreten.
    Verdammt, die sind doch viel zu früh. Laut Zeitplan können wir keinesfalls schon am Ende der Messe sein. Als Jana mich sieht, verzieht sie den Mund, als habe sie gerade in eine saure Zitrone gebissen. Irgendwas ist da wohl schiefgelaufen. Ich schaue in die Reihen. Emile zuckt mit den Schultern, Julia versucht, ihre Tochter im Zaum zu halten, und Hubsi blickt wie versteinert drein. In den restlichen Reihen des Publikums bricht ein Murmeln los. Die illustre Runde befürchtet völlig zu Recht den Super- GAU .
    Was mache ich denn nun?
    Ich muss handeln.
    Und zwar schnell.
    Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als das Ende einer kleinen improvisierten Predigt zu sprechen. Aber was? Ich kenne weder Gleichnisse noch andere kirchenrelevante Themen. Das Apolda-Duo und Jana haben in einer der hinteren Reihen Platz genommen und schauen erwartungsfroh zu mir, zum Altar hinauf.
    »Liebe Gemeinde«, beginne ich zaghaft. Sofort verstummt das Murmeln und weicht ungläubigem Starren. Circa dreißig Köpfe drehen sich

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