Linksträger: Roman (German Edition)
die Vielschichtigkeit Ihrer Seele stehen. Schauen Sie sich jede einzelne dieser Lagen genau an.«
»Ernsthaft?«
»Ja.«
»Okay.«
Ich zucke mit den Schultern, zerre ein Paket zu mir her, reiße es auf und kontrolliere die einzelnen Lagen der Klopapierrolle. Sie sind gechlort, tragen die Prägung eines Blumenmusters und sind relativ flauschig.
»Und, was fühlen Sie bei der Betrachtung Ihrer drei Lagen?«
»Fühlt sich gut an.«
»Sehen Sie, Sie finden langsam zu sich selbst. Sie brauchen keine Versagensängste zu haben. Sie sind gut, vielschichtig, interessant. Sie können alles sein, was Sie wollen.«
»Also auch ein Pfarrer?«
»Warum nicht? Vertrauen Sie auf Ihr Können und sich selbst.«
»Danke, Sie haben mir sehr geholfen.«
Just in diesem Moment biegt der REWE -Marktleiter mit dem Securitydienst um die Ecke und straft mich mit einer Mischung aus Verwunderung und Mitleid. Noch bevor er etwas sagen kann, springe ich vom Boden auf und klopfe meine Kleidung ab.
»Entschuldigen Sie, ich habe nur nach etwas gesucht, habe es aber schon gefunden. Übrigens, Ihre Neonröhre dort oben ist kaputt.«
20 Ein katholischer Stornoschlüssel
A n Kasse drei ist die Schlange relativ kurz. Allerdings ist mir durchaus bewusst, dass dies noch nie, nie, nie etwas zu sagen hatte. Denn schließlich werden immer direkt vor mir unetikettierte Waren aufs Band gelegt, oder irgendein Idiot hat seinen Geldbeutel vergessen, und die Kassiererin wartet eine halbe Ewigkeit auf eine Kollegin, die ihr dann den ominösesten aller Gegenstände im Einzelhandel bringt: den Stornoschlüssel.
Vor mir ächzt gerade ein adipöses Mädchen von höchstens siebzehn Jahren ihren Großeinkauf aufs Band, der zu neunzig Prozent aus Süßwaren besteht. Der dicke Teenager besitzt darüber hinaus nicht nur vier verschiedene Haarfarben, sondern auch ein weiteres verloren geglaubtes Relikt: den Achselhaarflokati.
Damit er auch schön zur Geltung kommt, hat der dicke Teeny trotz der schattigen Außentemperaturen ein Spaghettiträgeroberteil gewählt. Das modische Teil schneidet ihr nicht nur tief ins wulstige Schulterfleisch, sondern gewährt auch einen freizügigen Blick auf ihre Achselbehaarung. Lange, drahtige Haare, die sich wie schwarzes Lametta um den Zweig eines Weihnachtsbaums kräuseln. Und es glitzert auch schön. Denn der Teeny schwitzt gehörig, und so haben sich einige kleine Perlen in den Haarstrünken gesammelt, die nun beim Entladen des Einkaufwagens aufs Rollband tropfen. Mir wird schlecht bei diesem Anblick, und ich schaue angewidert zu Boden. Doch hier erwartet mich noch Schlimmeres. Hinter ihren monströsen Beinen schießt etwas hervor, das bei diesen Frauen nie fehlen darf: die Assi-Brut.
Um den Einkaufswagen herum rotzen und sabbern zwei Stammhalter des adipösen Teenagers. Während oben vier Maxigläser Nutella und fünf Packungen Milchschnitten gescannt werden, gaffen mich die beiden mit ihren Bratpfannengesichtern dümmlich an. Wie die Spermien des Erzeugers dieser Teflonzwillinge das Befruchtungsrennen zum Ei jemals gewinnen konnten, bleibt ein Geheimnis der Evolution. Und überhaupt: Warum sind gerade diese Assi-Tanten immer so gebärfreudig? Bei Achselhaar-Teeny und Co. wird ja mehr abgeferkelt als auf einem Schweinemastbetrieb in Mecklenburg-Vorpommern.
»Einhundertvierundvierzig Euro und sieben Cent, bitte.« Die Kassiererin streckt die Hand aus, und Mama Teflon reicht zwei druckfrische Hunderteuroscheine zur Bezahlung. »Brauchen Sie den Kassenbeleg?«
»Nä.« Assi-Mama schüttelt das vielfarbige Haupthaar. »Isch kriech eh nix von Amt zurück.«
»Sammeln Sie die Treuepunkte fürs Prämienheft?«
»Ja klar, ey, die Aufkleber will isch, isch hab das Heftsche schon fast wieder voll. Isch finde die Pastateller ›Venezia‹ so endgeil.«
»Ja, die sind wirklich sehr hübsch«, bestätigt die Kassiererin, »und für die Kleinen gebe ich Ihnen noch ein paar Extrapäckchen von den WWF -Sammelbildchen mit.«
Assi-Mama beugt sich zu den Teflonzwillingen hinunter. »Ey, was sagt man da? Janosch, Ingeborg?«
Janosch und Ingeborg? Ich glaube, mich verhört zu haben. Den Eltern gehört das Jugendamt auf den Hals gehetzt. Oder noch besser die Namens-Stasi. Das gibt’s doch nicht.
»Danke«, kommt es wie aus einem Mund, und zwei Hände der fürs Leben Gestraften schnappen nach den Tierbildchen und reißen die Päckchen umgehend auf. Nur Sekundenbruchteile später werden Koalabär und Sumatratiger so mit Kinderspeichel
Weitere Kostenlose Bücher