Linksträger: Roman (German Edition)
DEFEKT
Nicht gut! Gar nicht gut!
Da bin ich wohl länger als gedacht eingedöst. Das Jucken an Bauch und Hintern wird von Sekunde zu Sekunde schlimmer. Und meine Schlange juckt wie die Möse einer Hafendirne in Mombasa.
Ich muss ihn kühlen.
Und zwar schnell.
Wasser.
Das Schwimmbecken.
Fürs Umziehen habe ich nun keine Zeit mehr, und eine Badehose habe ich sowieso nicht dabei. Panisch renne ich splitterfasernackt in Richtung des kleinen Hallenbads, in dem sich nur wenige Besucher aufhalten: ein älteres Ehepaar sowie eine Gruppe älterer Damen bei der Wassergymnastik. Das muss die Gruppe von Frau Hasenauer sein, die im Aktivitiätenprogramm angekündigt ist. Es muss also mindestens neun Uhr sein. Das bedeutet, dass ich eine volle Stunde unter dem Solarium lag. Frau Hasenauer und ihre Gruppe sind sichtlich irritiert, als ich mich wie ein gestörter Sittenstrolch in das Becken wuchte. Ich tauche wieder auf und blicke in die weit aufgerissenen Augen der anwesenden Personen.
Der Mann schüttelt verständnislos den Kopf. »Nacktbaden ist nur mittwochs von sieben bis halb neun.«
Seine Frau pflichtet ihm bei und ergänzt: »Und außerdem steht überall geschrieben, dass das Springen vom Beckenrand verboten ist. Können Sie denn nicht lesen?«
»Ach wirklich?«, gebe ich mich überrascht. Als ob das meine einzigen Probleme wären. Doch der Juckreiz lässt meines Erachtens tatsächlich bereits wieder nach. »Sie müssen entschuldigen, aber ich habe etwas zu lange unter dem Solarium gelegen und musste mich abkühlen.«
»Aber …«, stammelt Frau Hasenauer, und ich wende mich ihr und der Wassergymnastikgruppe zu, »aber dann sollten Sie besser Milch auf die Haut geben. Das Chlor wird Ihnen nicht guttun. Im Gegenteil, das wirft nur Bläschen.«
»Was?«
Ich höre in meinen Körper hinein, und tatsächlich muss ich Frau Hasenauer recht geben. Der Juckstopp war nur von extrem kurzer Dauer. Ein leichtes Kribbeln breitet sich bereits wieder aus. Dann ein Jucken. Zunächst an den Kratzstellen rund um Bauch und Hintern, dann über meinen Penis und den restlichen Körper. Nach zehn weiteren Sekunden glaube ich, mitten in einen Ameisenhaufen gesprungen zu sein. Dazu bilden sich überall kleine Wasserbläschen, und meine Haut nimmt die Oberflächenstruktur von Luftpolsterfolie an, die ich als Kind immer so gerne zum Knallen brachte.
»Du lieber Himmel!«
Unter einer weiteren Abfolge von Flüchen ziehe ich mich aus dem Becken und kratze hysterisch an meinem nackten Verpackungsfolien-Körper, was jedoch alles nur noch schlimmer macht. Meine Nacktheit ist bei alldem mein geringstes Problem. Das finden Frau Hasenauer und die Gruppe wohl auch, denn alle rufen mir wohlgemeinte Hausfrauentipps zu.
»Milch, Sie müssen sich Milch auf die Haut reiben.«
»Am besten Stutenmilch«, verbessert eine; es könnte die Oma von Falco sein. Eine andere rät mir zu Olivenöl.
»Nein, nein, Quark ist noch viel besser.«
Ich winde mich wie Opa Karlos Kohlroulade und schreie schmerzgeplagt: »Wo soll ich denn hier jetzt auf die Schnelle Milch oder Quark herbekommen?«
»Da hat er recht«, bestätigt eine weitere Dame.
»Urin«, ruft eine aus der Gruppe, woraufhin sich die anderen vor Ekel schütteln.
»Nutella soll auch helfen.«
»Ach, Waltraud, wenn er keinen Quark bekommt, bekommt er erst recht keine Schokolade.«
»Eben«, pflichte ich ihr bei, »so große Nutellagläser gibt es nicht, dass ich mich hineinsetzen …«
Moment! Schokolade? Da war doch was.
»Danke, ich muss weiter.« Ich hetze aus der Schwimmhalle zurück zum Wellnessbereich, wo mich Frau Herrmann entgeistert ansieht, als ich nackt vor ihr stehe. Ich deute auf die Behandlungsräume hinter ihr.
»Ähm, ich hätte nun doch gerne so eine Schokoladenbehandlung.«
»Das, das … das Ganzkörper-Schokoladenbad?«
»Genau.«
»Aber Sie … Sie sind nackt.«
»Ja und? Sollte man dazu besser Mütze und Schal tragen?«
»Nein, aber Sie sind hier noch im Vorraum.«
»Es ist ein Notfall. Wo ist das verdammte Schoko-Becken?«
Frau Herrmann deutet in den Gang hinter sich. »Im Behandlungsraum vier, aber Sie brauchen einen Termin.«
»Keine Zeit«, antworte ich und steuere auf Behandlungsraum vier zu. Wie aus einem anderen Universum höre ich noch die Stimme von der Rezeption.
»Aber das geht nicht, der Raum ist besetzt.«
Zu spät. Schon stoße ich die Tür auf und sehe in der Mitte des Raums die randvolle Schoko-Wanne. Meine Rettung. Außerdem entdecke ich die
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