Linksträger: Roman (German Edition)

Zimmer ist es arschkalt, da das Zimmermädchen nach dem Säubern versehentlich das Fenster offen gelassen hat. Ich schließe es und bewundere dabei die zahlreichen Eisblumen, die auf der Fensterfront pittoresk aufblühen und jeglichen Blick nach draußen unmöglich machen. Mir ist irgendwie nach Heulen zumute. Meine Haut gleicht einer aufgeplatzten Verpackungsfolie, meine Eichel einem Glühwürmchen, und über Falcos sexuelle Orientierung weiß ich ebenso viel wie über das Bruttoinlandsprodukt Nicaraguas.
    Ich ziehe eine der üblichen Zusatzdecken aus kratzigem Rosshaar aus dem gammeligen Schrank, verkrümele mich unter dem Deckenberg und hasse die Welt. Irgendwie läuft es seit dem Besuch von Nora und Falco nicht besonders gut in meinem Leben. Ich habe keinen Sex mehr, dafür ist Janas Tante davon überzeugt, dass ich ihr nachstelle. Niemand versteht mich.
    Niemand?
    Vielleicht doch.
    Ich greife zum Telefon auf dem Nachttisch neben mir, schiebe die Flyer beiseite und tippe die Nummer von Frau Kuhlig-Semmrau.
    »Ja, hallo?«
    »Ich bin es, Robert Süßemilch.«
    »Wie geht es Ihnen, Herr Süßemilch?«
    »Nicht gut, sonst würde ich ja nicht anrufen.«
    »Hm, eine tiefgründige Wahrheit. Das ist guuut.«
    »Ja danke. Sagen Sie, Frau Kuhlig-Semmrau, gibt es vielleicht noch eine andere Möglichkeit herauszufinden, ob mein Bekannter homosexuell ist.«
    »Ach richtig, Ihr Bekannter.«
    Ohne die Frau in Blau zu sehen, weiß ich, dass sie wohl gerade wieder Anführungszeichen in die Luft schreibt. Ich habe keine Lust, Aufklärung zu betreiben.
    »Genau, der Bekannte.«
    »Doch ja, da gibt es noch eine weitere Untersuchung aus den USA.«
    »Ach, wirklich.« Ich sitze senkrecht im Bett. »Was hat es damit auf sich?«
    »Sie müssen nur herausfinden, mit welcher Hand und in welcher Art Ihr Bekannter masturbiert. Auf gut Deutsch also: Finden Sie heraus, ob Ihr Bekannter ein Linkswichser oder ein Rechtswichser ist.«
    »Gibt es denn beim Onanieren so viele Optionen?«
    »Aber ja, links, rechts oder beidhändig. Manch bevorzugen auch Die Fremde oder Fire and Ice .«
    » Die Fremde oder Fire and Ice ? Was ist das denn nun wieder?«
    »Sie kennen das nicht?«
    »Nein, zur Hölle.«
    Ich höre ein Schnauben am anderen Ende der Leitung. Frau Kuhlig-Semmrau scheint enttäuscht von mir.
    »Also, passen Sie auf. Bei der Fremden setzen Sie sich einfach so lange auf Ihre bevorzugte Hand, bis sie einschläft. Sobald Sie dann mit der Selbstbefriedigung beginnen, fühlt es sich an, als würde eine Fremde Sie berühren.«
    »Und das funktioniert?«
    »Sagen Sie es mir, wenn Sie es probiert haben.«
    »Im Moment nicht. Ich bin etwas indisponiert. Aber was bedeutet Fire and Ice ?«
    »Oh, das wird Ihnen gefallen. Dazu legen Sie Ihre Hand eine Viertelstunde auf die Heizung oder eine Wärmflasche. Die andere hingegen in den Kühlschrank oder in den Schnee – und dann wechseln Sie alle paar Sekunden Ihre Spielhand.«
    »Wer zur Hölle gibt solche Forschungen in Auftrag?«
    »Der Playboy und Hugh Hefner.«
    Einen Moment lang herrscht Stille zwischen uns. Ich warte auf die Auflösung des Scherzes, doch diese will und will nicht kommen.
    »Das war ein Witz, oder?«
    »Nein. Mister Hefner ist ein großer Förderer der Wissenschaft.«
    »Der Mann lässt Frauen in Bunnykostümen durch seine Villa in Kalifornien rennen. Ein Mann Mitte siebzig, der schon zum Frühstück Viagra zum Orangensaft nimmt, ist nicht gerade das, was man einen vertrauenswürdigen Wissenschaftler nennen würde, oder?«
    »Warum nicht? Haben Sie Probleme mit Frauen in Kostümen?«
    »Ich, nein. Ach, wissen Sie was, vergessen Sie es. Ich bleibe bei der ersten These mit dem Ablegen.«
    »Das ist guuut. Das ist auch mein Favorit.«
    Wir beenden das Gespräch, und ich gehe zum Fenster, öffne es und lege eine Hand in den kalten Schnee auf dem Fensterbrett.
    » Fire and Ice «, murmele ich. Na ja, warum nicht? Ein wenig Kühlung könnte ihm guttun.
    Während ich warte, dass meine rechte Hand den ersten Grad der Erfrierung erreicht, wandert mein Blick über den verschneiten Thüringer Wald. Die Bäume, die Häuser vor mir und etwas weiter hinten die Rodel- und Bobbahn, die sich wie ein weißer Bandwurm durch die Landschaft schlängelt. Wie zur Hölle kann ich bis zum Termin beim Standesamt herausfinden, ob Falco schwul ist?
    Trotz der arktischen Temperaturen arbeiten meine Synapsen erstaunlich gut. Aber ja, natürlich, die Antwort liegt direkt vor mir. Sofort wird mir klar, dass das