Linksträger: Roman (German Edition)
vom Nebentisch, und ich zucke vor Schreck zusammen. Als ich mich umdrehe, sehe ich eine Gruppe von über zwanzig Männern und Frauen, die im Akkord Bier und Jägermeister saufen.
»Na, alles fit bei dir, du Spacke?«, fragt mich lallend eine hässliche Frau Ende vierzig.
Ich lächle träge und bin verblüfft, welche Kreaturen sich hier tummeln. Sie ist die hagere Version einer Straßenlaterne und trägt eine schnittige Kurzhaarfrisur mit bis zum Kinn gekämmten Koteletten in Weinrot.
»Ich sagte, alles fit, Spacke?«
Die Wiederholung der Frage macht sie nicht schöner, aber nerviger. Ich muss wohl antworten.
»Ja, danke. Denk schon.«
»Na also, geht doch.« Sie steht auf und kommt zu mir herüber. Muss das jetzt sein? Ich möchte keine Kommunikation. Aber das interessiert die Dame wenig. »Und wo kommst du her?«
»Frankfurt«, antworte ich. »Und ihr?«
Anstatt einer einfachen Antwort erklimmt die Koteletten-Frau wie von der Tarantel gestochen den Tisch und streicht sich ihr Poloshirt straff über die nicht mehr ganz taufrischen Brüste. Ich verstehe und lese den Vereinsnamen, der quer über ihren Brüsten prangt: Kegelklub Harzer Holzköpfe 93
»Ah.« Ich nicke und gehe davon aus, dass das peinliche Schauspiel damit nun sein Ende findet. Doch da habe ich die Rechnung ohne Kotelette gemacht. Umgehend beginnt sie, mit ausgestreckten Armen ihre Kollegen vom Nachbartisch zu dirigieren.
»Der Typ hier will wissen, wer wir sind. Auf die Knie, Holzköpfe.«
Und sogleich begibt sich die Harzer Landbevölkerung wie befohlen auf die Knie und schaut zu ihrer Heilsbringerin auf. Sie holt tief Luft und schreit mit all der ihr zur Verfügung stehenden Kraft ihre Kollegen an: »W-e-r s-i-n-d w-i-r?«
Ihr Schädel leuchtet rot wie der Papierkopf eines chinesischen Drachens an Neujahr.
»Kegler, Kegler«, hallt es wie aus einem Munde zurück.
Schon legt sie sich wie ein Speerwerfer ins Kreuz und schreit so hysterisch, dass ihr einige Speichelfäden aus dem Mund fliegen. »W-a-s s-a-u-f-e n w-i-r?«
»Jäger, Jäger.«
Dann streckt sie ein Glas Jägermeister in die Höhe und stimmt ein lang gezogenes »Guuuuuuuuuuut« an, das sogleich von der Gefolgschaft 93 lautstark mit »Holz!« beantwortet wird.
Die Jägermeister werden geext, und Kotelette zwinkert mir beim Abstieg vom Tisch vielsagend zu. »So, jetzt weißt du, wer wir sind. Und wer bist du?«
Ich überlege einen Moment lang, ob ich ihr unsere Namen ebenfalls ins Gesicht brüllen soll.
Wer sind wir? … Schwänze, Schwänze …
Nein, ich lasse es besser.
»Ich bin der Robert. Wir feiern den Junggesellenabschied von Falco.« Ich deute an das Tischende. »Das ist der junge Mann dort hinten.«
»Der mit den tollen Haaren?«
»Ja, genau der.«
»Ich stehe auf Männer mit dichtem Haar – wie Wolfgang Petry oder der junge James Dean.«
Wie man Wolfgang Petry und James Dean in einem einzigen Satz verbinden kann, war mir bislang unbekannt.
»Ich hoffe nur, dass er die Haare nicht überall so dicht trägt.«
Fragend ziehe ich die Stirn kraus. »Wie meinst du das?«
»Na, ich hatte mal einen Freund, der war auch so krass behaart wie dein Kumpel. Kopf, Brust und auch unten. Wenn ich ihm einen geblasen habe, konnte ich mir danach die Zahnseide sparen. Du verstehst?«
Manche Dinge möchte man sich nicht vorstellen. Dennoch brennen sie sich wie Bilder des 11. September ein.
»Ich befürchte, ja.«
»I love you …«, scheppert es plötzlich lautstark durch die Lautsprecher. Auf der Bühne beginnt gerade ein ebenso überforderter wie talentfreier Michael-Jackson-Imitator seine Show. Wir drehen uns zu ihm um. Die Harzer und die Schwänze springen sofort auf Tische und Bänke. Ich bleibe sitzen. Der Imitator ist unfassbar schlecht, wobei ich die Songs »Beat it«, »Dirty Diana« und »Thriller«zwischen dem Krächzen zu erkennen glaube. Mich erinnert seine Zappelei lediglich daran, dass ich mal dringend pissen muss. Ich will gerade aufstehen, da packt mich eine Hand und zieht mich wieder auf die Bank. Die Schwänze aus Apolda haben sich soeben endgültig mit den Holzköpfen verbrüdert und stoßen mit ihnen auf ’ne geile Zeit an. Und schon passiert’s: Kotelette klettert auf die Bühne und reißt dem Alleinunterhalter das Mikro aus der Hand. Sie wirft sich in Pose, und die Masse grölt vor Begeisterung. Alle scheinen die Grundregeln des Kegelklubs Harzer Holzköpfe 93 zu kennen und stimmen lauthals mit ein: »Guuuuuut Holz.«
38 Fire and Ice
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