Linksträger: Roman (German Edition)
realisiert habe, befinde ich mich genau zwischen ihnen, was sich als strategisch ungünstig erweist. Denn schon quetschen mich die zwei Schneemenschen wie eine Schrottpresse zusammen, und ich stürze noch tiefer in ihre Körperschluchten. Zunächst verdunkeln sich die Lichter der Diskothek nur, dann erlischt eines nach dem anderen, bis sie schließlich alle endgültig irgendwo hinter dem Sherine-Massiv verschwinden. Meine Beine verlieren daraufhin den Bodenkontakt und ich das Bewusstsein.
Als ich wieder zu mir komme, schwebe ich irgendwo zwischen fulminanten Hängebrüsten und Oberbauchspeck. Sofort ringe ich nach Sauerstoff, doch die Luft ist knapp bemessen und latent schweißig. Besonders die wurffreudige Yetifrau Paul scheint am Büfett Gefallen am Hackbraten mit Zwiebeln gefunden zu haben und dünstet diesen nun großporig aus. Ich weiß nicht, wie lange ich zwischen diesem menschlichen Doppel-Whopper überleben kann, doch eine Flucht scheint aussichtslos.
Aber dann geschieht das Wunder.
Durch einen unbedarften Tanzschritt zur Seite gibt Sherine für einen kurzen Moment einen Fluchtkanal frei. Zwischen glitschiger Achselhöhle und schwabbeligem Oberarm bricht Licht durch die ansonsten tiefschwarze Adipositas-Nacht. Ich drücke mich an Sherines Dekolleté vorbei und entdecke dabei ihr von Gewebeschwäche gezeichnetes Bugs-Bunny-Tattoo. Die beiden Grazien bekommen von alldem nichts mit und vollführen weiter ihren Tanz, der an den Überlebenskampf gestrandeter Pottwale erinnert. Sherine habe ich nun schon mal hinter mir gelassen. Weiter geht’s vorbei an Paul, der durch das eng umschlungene Reiben der massigen Körper nun auch noch das Motto-Shirt nach oben gerutscht ist. Die schwitzige Schwarte lächelt mich wie die Pforte zur Hölle an und winkt mir verächtlich zu. Wenn ich hier aber wirklich rauswill, muss ich da durch. Ich beiße mir auf die Unterlippe und hole tief Luft. Dann tauche ich ab und gleite vorbei an borstigen Bauchhaaren, die mich abwechselnd ins Gesicht piksen oder in der Nase kitzeln. Es folgt der Ausblick auf ihren schlecht verheilten Nabelbruch. Doch dann habe ich es geschafft.
Mit letzter Kraft krieche ich auf allen vieren zum Rand der Tanzfläche. Erst dort blicke ich zurück und erkenne, dass Sherine und Paul mein Verschwinden zwischen ihren Körpern noch nicht einmal bemerkt haben. Stattdessen krallen sich die Yetis einen weiteren Mann, der nicht schnell genug flüchten kann, und beginnen erneut mit ihren extravaganten Tanzbewegungen, die eher an Suizidversuche erinnern. Als Letztes erkenne ich leuchtend weiße Buchstaben auf seinem roten Motto-Shirt, bevor er komplett zwischen den Fleischbergen verschwindet.
Kletterfreunde Sächsische Schweiz , steht darauf.
Zumindest kein Anfänger. Ich drücke dir die Daumen, mein Freund.
41 Achtundfünfzig Sekunden
I n meinem Kopf legt irgendein durchgeknallter Techno-DJ so heftige Bässe auf, dass mir die Haare bluten. Jedenfalls scheint man in Thüringen den Alkohol mit Hammer und Sichel zu versehen. Anders kann ich mir das zyklische Schädeldröhnen am nächsten Morgen nicht erklären. Die Nacht war lang und schmutzig. Zu viel Alkohol und zu viele Yetis. Überhaupt scheint mir Thüringen nicht wohlgesinnt zu sein. Erst versucht mir Tante Gerti das Augenlicht zu nehmen, dann verübt Opa Karlo mit seinem Selbstgebrannten einen Anschlag auf meine inneren Organe, dann erhöht man die Taktzahl eines Biers auf fünf Liter, und meine obere Hautschicht hat sich ebenfalls verabschiedet.
Jetzt sitze ich neben den Schwänzen beim Frühstück und bereite ich mich seelisch und moralisch auf meine Mission vor: meine letzte Chance, um die Hochzeit von Falco und Nora zu verhindern und meine eigene zu retten. Brummelbärchen sitzt mir direkt gegenüber und verdrückt gerade seinen Früchtequark mit Naturrohrzucker. Er lächelt dabei und wirkt glücklich. Keine Spur eines Katers. Das Leben ist nicht fair.
»So, dann treffen wir uns in einer halben Stunde zur Abfahrt. Dann geht’s zurück nach Hause.«
»Nicht ganz«, melde ich mich vielsagend zu Wort, lege das Brotmesser zur Seite und lehne mich in meinem Stuhl zurück. »Ich habe da auch noch eine kleine Überraschung geplant.«
»Ach.« Brummelbärchen scheint ebenso erstaunt wie die beiden anderen. »Was hast du denn mit uns vor, Robert?«
»Wartet es einfach ab.«
Keine zwanzig Minuten später stoppen wir auf einem breiten Parkstreifen gesäumt von Tannen und Kiefern. Ich öffne die Tür des
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