Lippels Traum (German Edition)
wieder selbst verflucht, weil er seine Kinder verbannt hat. Er hat sich in sein Zimmer eingeschlossen und will es nicht mehr verlassen. Er soll sogar gesagt haben, er wolle nicht mehr König sein.«
»Da wird sich eure Tante aber freuen«, sagte Lippel. »Dann wird ja ihr Sohn der neue König.«
Asslam nickte und erzählte weiter:
»Als ich von Sindbad hörte, wie sehr unser Vater um uns trauert, wollte ich gleich zum Palast laufen, um ihn zu trösten und um ihm zu sagen, dass wir noch leben.
Sindbad überredete mich, damit bis zum Morgen zu warten. Er hatte Recht, ich war inzwischen so müde, dass ich kaum noch stehen konnte. So schlief ich in seinem Haus, bis es hell wurde. Heute Morgen, ganz früh, ging ich dann mit Muck zum Palast.«
»Schön!«, rief Hamide. »Was hat Vater gesagt? Ich kann mir richtig vorstellen, wie er sich gefreut hat. Schade, dass ich nicht dabei war!«
»Wie gut, dass du nicht dabei warst!«, sagte Asslam düster. »Als ich gerade den ersten Vorhof überqueren wollte, der vor dem großen Hof liegt, da stürzten sich plötzlich die drei Wächter auf mich.
Sie hatten sich dort verborgen und mir aufgelauert. Sie zückten ihre Schwerter und gingen auf mich los. Sie wollten mich nicht gefangen nehmen, nein! Sie wollten mich töten!«
»Töten?«, fragte Hamide fassungslos.
»Ja, töten«, bestätigte Asslam mit finsterem Gesicht. »Die Tante darf nicht erfahren, dass wir noch leben. Und unser Vater erst recht nicht. Erst wenn wir wirklich tot sind, können sie sicher sein, dass die Wahrheit nicht bekannt wird. Deswegen ritten sie gestern Nacht immer wieder durch die Stadt, auf der Suche nach uns. Deswegen haben sie mir aufgelauert. Sie ahnten, dass ich zum Palast kommen würde. Deswegen reiten sie jetzt wieder durch die Stadt und suchen und suchen …«
»Du hast uns noch gar nicht erzählt, wie du ihnen entkommen bist«, sagte Lippel. »Als sie mit ihren Schwertern auf dich losgegangen sind.«
»Wenn Muck nicht gewesen wäre, hättet ihr mich nicht wiedergesehen«, erzählte Asslam. »Er stürzte sich bellend auf sie und lenkte sie erst einmal ab. Während sie sich mit Muck herumschlugen, lief ich davon. Bis sie auf ihren Pferden saßen, war ich schon über eine Friedhofsmauer geklettert. Sie mussten außen herumreiten, durch das Tor. Da war ich schon längst über die zweite Mauer gesprungen und in der nächsten Gasse verschwunden. Dort traf ich dann Lippel. Den Rest der Geschichte kennt ihr ja.«
Lippel nickte. Dann fiel ihm noch etwas ein. »Es waren aber nur zwei Reiter, die nach dir suchten«, sagte er. »Wo ist der dritte?«
»Er ist beim Palast geblieben. Er sorgt dafür, dass keiner von uns lebend hineinkommt, während die beiden anderen in der Stadt umherreiten«, erklärte Asslam.
»Aber es gibt doch nicht nur diese drei Wächter im Palast!«, sagte Hamide empört. »Wo waren denn die anderen? Warum haben sie dich nicht beschützt?«
»Die übrigen Palastwächter sind im Palast oder im Hof, das weißt du doch. Wenn die drei mich im äußersten Vorhof angreifen, merken es die anderen gar nicht. Und wenn sie es doch entdecken, denken sie, man jagt einen Straßenjungen aus dem Palast, vielleicht einen Dieb.« Asslam betrachtete seine schmutzigen, zerrissenen Kleider. »Ich sehe ja wirklich nicht aus wie ein Prinz!«, sagte er.
»Es muss doch irgendeine Möglichkeit geben, lebend in den Palast zu kommen!«, sagte Hamide. »Wir können doch nicht für immer hier bleiben. Ich will zu unseren Eltern!«
»Beruhige dich!«, beschwichtigte Lippel sie. »Es gibt bestimmt einen Ausweg. Man muss ihn nur finden.«
»Und wie?«, fragte Hamide ungeduldig.
»Durch Nachdenken«, sagte Lippel.
Die drei setzten sich nebeneinander auf einen Strohsack, stützten das Kinn in die Hand und überlegten.
Lippel spürte, dass er kurz davor war, den Ausweg zu finden. Er hatte bereits eine Idee. Aber seine Vorstellung war noch zu unbestimmt, er konnte sie noch nicht richtig fassen.
Wie war das? Er überlegte angestrengt.
Sein Plan wurde deutlicher und deutlicher und er hätte den richtigen Ausweg auch ganz bestimmt gefunden – wenn nicht in diesem Augenblick Frau Jakob gerufen hätte:
»Philipp! Philipp, du musst aufstehn! Es ist Viertel vor sieben!«
Was blieb ihm anderes übrig: Er überließ es Hamide und Asslam, über den Ausweg nachzudenken, und wachte auf.
Freitag
Familie Güney
Diesmal zog Lippel den Regenmantel an, als er sich nach dem Frühstück auf den Schulweg machte. Er
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