Lisa geht zum Teufel (German Edition)
Felipe« und nicht »cariño«, ihren Schatz, wie sonst üblich? Um diese Frage zu beantworten, genügte es, ihre Mail zu überfliegen. Viel Blabla, Gefasel von wegen, dass es ihr leidtäte und wie sehr sie sich doch bemüht hätte. Das alles hatte er schon oft genug gelesen oder gehört. Felipe überlegte, ob er nicht einen Vordruck zum Ankreuzen für künftige Verflossene erstellen sollte. Dann könnte er sich wenigstens die Lektüre dieses üblichen Beziehungsgelabers ersparen.
»Ich fahre zu meiner Mutter.« Noch so ein Standardsatz neben: »Ich verlasse dich. Es geht nicht mehr.« Felipe lehnte sich zurück und starrte auf die Sherryflasche. Noch einen? Nein. Zu schade. Viel zu schade für Benita. Sie erwartete sicher, dass er ihr einen ähnlich langen Sermon zurückschrieb. Das wäre pure Zeitverschwendung. Da sie einen Ehevertrag abgeschlossen hatten, der Benita in weiser Voraussicht mit relativ wenig abspeisen würde, interessierte ihn eigentlich nur noch eines, und das war schnell in die Tastatur seines Notebooks getippt: »Kündigt der Stallbursche jetzt auch?« – Senden! Fertig! Ein weiterer Schluck aus Tio Pepes Flasche wartete auf ihn, und Felipe nahm sich vor, diesen bis zum letzten Tropfen zu genießen. Einen Versuch war es wert.
Lisas gute Laune an diesem Abend nahm mit jedem Meter ab, den das Taxi auf dem Weg zu ihrem Haus zurücklegte. Dabei gab es doch rein rational betrachtet überhaupt keinen Grund dazu. Erstens waren Andreas und Mercedes ein sehr nettes Paar, und zweitens würden sie sicher schon schlafen. Zumindest sah es danach aus, weil kein Licht mehr brannte. Mit der Gewissheit, dass der Urlaub endlich begonnen hatte, und in Dankbarkeit dafür, dass ihr Vroni nicht unentwegt ihren tollen Stefan vor die Nase gehalten hatte wie befürchtet, reichte sie dem Taxifahrer einen Zwanzig-Euro-Schein, die Fahrtkosten inklusive Trinkgeld.
»¡Está bien!«, sagte sie, bevor er dazu kam, nach Wechselgeld zu kramen. Diese spanische Höflichkeitsfloskel gefiel Lisa besser als das deutsche »Stimmt so«. Es klang weniger großkotzig und einen Tick warmherziger. Es ist gut so, hieß es. Gut wie dieser Abend. Es waren mitunter kulturspezifische Kleinigkeiten dieser Art, weshalb sie so sehr an Spanien hing, an ihrem Haus, an ihrem alljährlichen Urlaub, überlegte Lisa auf dem Weg zum Tor. Spanier waren Herzensmenschen, was sicher auch eine Folge des tief in der Volksseele verankerten Katholizismus war. Zur Kirche konnte man ja stehen, wie man wollte, aber es ließ sich nicht leugnen, dass sie für gewisse Werte eintrat, die Lisa wichtig waren, Werte wie Anstand, Aufrichtigkeit, ein soziales Gewissen – und was den Stellenwert von Familie und Freundschaft betraf, so wurden gerade diese Dinge in Andalusien besonders großgeschrieben. Wie oft hatte sie schon darüber nachgedacht, für immer nach Spanien zu ziehen. Der schöne Garten, die nette Nachbarschaft, das Leben in mildem Klima. Lisa hatte schon so oft davon geträumt. Ihre Terrassenbank und die laue Nacht luden dazu ein. Irgendetwas war aber anders als sonst. Wieso standen Blumen auf dem Tisch? Etwa für sie? Mit Karte. Lisa öffnete den Umschlag, knipste eine kleine am Haus befestigte Lampe an und begann zu lesen.
Liebe Lisa, wir möchten uns sehr für Ihre Gastfreundschaft bedanken, aber wir haben uns dazu entschlossen, weiterzufahren. Dann haben Sie Ihre Ruhe, so wie mit meinem Vater vereinbart. Danke für alles!
Andreas & Mercedes
Schade eigentlich. An die beiden hätte sie sich glatt gewöhnen können. Kaum zu glauben, dass Felipes Sohn so gute Manieren hatte. Bestimmt hatten sich die Gene seiner Mutter, Felipes zweiter Frau, durchsetzen können. War Beate nicht Dressurreiterin gewesen? Wer weiß, womöglich hatte sie Felipe gleich mitdressiert. Lisa musste unwillkürlich schmunzeln, schämte sich aber sogleich für diesen Gedanken. Über Tote riss man keine Witze. Angeblich hatte Beate ihr sogar ähnlich gesehen. Der Tod seiner Frau könnte Felipe verändert haben. Ein Kind schaffte ebenfalls neue Lebensperspektiven. Hatte Andreas nicht sogar gesagt, dass Felipe sich gefreut habe, als er ihm erzählt hatte, dass sie bei seiner Exfrau seien? War er jetzt etwa auf Versöhnungskurs? Niemals! Nicht Felipe. Andererseits konnte in über zwanzig Jahren ja alles Mögliche passieren. Am Ende war er krank. Aber davon hätte Andreas ihr sicherlich berichtet. Lisa schüttelte unwillkürlich den Kopf und ließ von den Gedanken an Felipe gleich mit ab.
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